Ein Dach für alle
Auf den ersten Blick könnte man meinen: Es ist nicht zu retten, das Gebäude aus den 50er Jahren. Mit normalen Gasheizungen ist es kaum effizient zu wärmen, zwischen den riesigen, einfach verglasten Fensterscheiben sammelt sich Feuchtigkeit, die Putz und Mauerwerk angreift. Ein Gemeindehaus, wie es ähnlich in vielen Orten zu finden ist. Die Überlegungen zum Abriss und für einen kleineren Neubau liefen bereits, als 2020 Julia Matthias in den Kirchenvorstand der Stadtkirchengemeinde Rotenburg kam. Und die hauptamtliche Energieberaterin sagte: „Stop. Wo ist denn das Anlagekonzept, habt Ihr eine Sanierung nicht mal durchdacht?“ Schließlich sei nicht alles schlecht: der Dachboden dick gedämmert und der Keller absolut in Ordnung.
Sie setzte sich hin und rechnete – und fand eine Lösung: neue, dreifach verglaste Fenster, eine gute Lüftungsanlage und eine Brennstoffzelle als Heizung – genauer gesagt: drei Brennstoffzellen hintereinander geschaltet. „Das ist ein Pilotprojekt für alle, nicht nur für uns als Kirche“, sagt Julia Matthias. 100.000 Euro wird die Anlage kosten, aber fast zur Hälfte mit Fördermitteln finanziert werden. „So wird es für uns als Gemeinde machbar“, sagt Kirchenvorstand Hilmer Drögemüller. „Und: Der Raum bleibt erhalten – das ist toll, denn auch die Volkshochschule und andere Gruppen nutzen den Raum. In Rotenburg gibt es sonst keinen vergleichbaren Ort, es ist für die Stadt ein zentraler Punkt.“
Zentralität ist für die Kirche in Rotenburg überhaupt ein wichtiges Schlagwort: Diakonische Dienste, die bisher in mehreren Gebäuden verteilt waren, ziehen unter ein Dach, zusammen auch mit der Evangelischen Jugend. Zwei andere Häuser sind bereits leer und werden verkauft. Die Erlöse und Zuschüsse vom Kirchenkreis ermöglichen den Umbau, hinzu kommen Mieteinnahmen der diakonischen Dienste.
Landesbischof Ralf Meister, der sich im Gemeindehaus der Stadtkirchengemeinde die Ideen und Projekte zeigen lässt, ist beeindruckt: „Es ist toll, wie Sie hier zeigen, dass eine nachhaltige Nutzung möglich ist, wie es gehen kann, auch mit alter Substanz. Ob es klug ist, dass wir als Landeskirche aber nur einen Neubau fördern, nicht aber die Sanierung, sollten wir überdenken. Da müssen wir ran.“
Das würde den Kirchengemeinden sehr helfen, sagt auch Kai Oevermann. Er ist gelernter Architekt und im Kirchenamt Verden als Gebäudemanager angestellt. Er betreut die drei Kirchenkreise Verden, Rotenburg und Osterholz-Scharmbeck bei allen Fragen, schreibt mit ihnen zusammen Nutzungskonzepte und Fördermittelanträge. Rund 300 Gebäude fallen in sein Gebiet und er hat sie alle in den letzten zehn Jahren mindestens einmal besucht. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zukunft ist, Gebäude gemeinsam mit anderen Gruppen im Ort zu nutzen, Treffpunkte für alle zu schaffen. Weg von dem Gedanken, ,Das ist unser Haus‘, sondern: ein Dach für viele.“
"Einen Pastor auf 250 Quadratmetern wohnen lassen - das ist doch nicht sinnvoll"
Oevermann wäre auch für mehr Flexibilität bei der Residenzpflicht von Pastorinnen und Pastoren. Am Rotenburger Kirchplatz gibt es gleich zwei Pfarrhäuser, fast nebeneinander, beide in die Jahre gekommen und nicht attraktiv für neue Pfarrpersonen. „Manchmal gibt es auch alleinstehende Pastoren – und die sollen dann auf 250 Quadratmetern wohnen? Das ist doch Quatsch. Viel sinnvoller kann es sein, passend zur familiären Situation jeweils Wohnungen oder Häuser anzumieten.“
Einige Kilometer weiter, in Brockel, wurde das alte Pfarrhaus, ein Backstein-Hof von 1887, schon verkauft. Ein neues Haus wurde auf das Nachbargrundstück gebaut – nach KfW-40-Standard, eine besonders energiesparende Bauart. „Super Sache“, findet Pastor Christian Wietfeldt, der vor einem Jahr eingezogen ist, „aber dass die Kirchengemeinde den KfW-Antrag stellen muss, ist eine große Belastung. Das ist viel Arbeit, die sicherlich viele Gemeinden abschreckt.“ Im seinem Garten finden sich Blühwiesen für Insekten, ein Stück weiter auf dem Feld Bienenkästen. Denn nicht nur Menschen brauchen ein Zuhause, auch Tiere sollen sich auf den kirchlichen Grundstücken wohlfühlen.
Ein "grüner" Friedhof
Auf dem Friedhof Leehopweg hat die St.-Lucas-Gemeinde darum in Zusammenarbeit mit dem Nabu mehrere Maßnahmen ergriffen: Leere Grabflächen bieten Raum für Blühwiesen und kleine Heide-Landschaften, geschichtete Steinhaufen sind für wechselwarme Tiere gedacht, ein Teich für Frösche, Libellen und andere Wasserliebhaber. Wildbienen haben den Sand am Rande schon für sich entdeckt, einige der Röhrchen im Insektenhotel sind auch bereits belegt. An die 300 Büsche wurden gepflanzt, Ehrenamtliche haben über 500 Stunden Arbeit geleistet, ausgehend von einem Konzept vom Nabu. „Allein hätten wir das nicht geschafft“, resümiert Johanna Schröder, Pastorin der Gemeinde. 8.500 Euro hat die Gemeinde investiert, der Nabu 2.000 Euro, die Sparkasse 1.500 Euro und 12.000 Euro die Bingo-Umweltlotterie. Roland Meyer vom Nabu findet das Engagement prima. „Mehr kann man natürlich immer tun, aber die Kirche hat sich zumindest auf den Weg gemacht. Und wir haben uns gegenseitig kennengelernt und ausgetauscht - das ist auch viel wert, sich als Zivilgesellschaft zu vernetzen.“
Landesbischof Ralf Meister zeigte sich am Ende der Etappe seiner Klimatour sehr beeindruckt von den sehr gut durchdachten Projekten, die von „hochkompetenten und engagierten“ beruflich Tätigten und Ehrenamtlichen verantwortet werden. Besonders sinnvoll fand Meister die bewusste Entscheidung, auch bestehenden Gebäudebestand zu sanieren und bei der Nutzung auch zunehmend auf Kooperationspartner außerhalb der Kirche zuzugehen.