Ein Leben lang gearbeitet, aber die Rente reicht nicht: Viele Menschen im Ruhestand sind auf staatliche Unterstützung angewiesen, stocken ihren Lebensunterhalt mit kleinen Jobs auf. Zeitungen austragen, Bratwürstchen verkaufen, Pfandflaschen sammeln – das ist für viele Rentnerinnen und Rentner der einzige Ausweg, um halbwegs über die Runden zu kommen. Und zwar auch jenseits der 67.
Am 17. Oktober ist Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut. Weltweit setzen sich viele Organisationen für die Belange armer Menschen ein – und haben im Kampf gegen die Armut echte Fortschritte erzielt. Doch die wirtschaftlichen Folgen von Corona und der Ukrainekrieg haben die Erfolge vielerorts zunichte gemacht: Rund 17,7 Millionen Menschen waren im vergangenen Jahr allein in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht.
„Etwa die Hälfte unserer 86 Verkäufer in Hannover sind Rentnerinnen und Rentner, die durch den Verkauf des Asphalt-Magazins versuchen, ihren Lebensstandard aufrecht zu erhalten und sich damit gleichzeitig vor der sozialen Isolation zu retten“, sagt Thomas Eichler. Der Vertriebs- und Verwaltungsleiter des sozialen Straßenmagazins begegnet also täglich Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, aber dennoch eine Rente bekommen, die zum Überleben kaum reicht.
Kordula ist „Aufstockerin“ und lebt an der Armutsgrenze. Die 58-Jährige hat mehr als zwanzig Jahre lang im Verkauf gearbeitet – bis das lange Stehen mit kaputter Hüfte und Bandscheibe unmöglich geworden ist. Seit 24 Jahren soll eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ihr Einkommen ersetzen. „Ohne Grundsicherung und meinen Verdienst durch den Verkauf des Asphalt-Magazins würde ich nicht über die Runden kommen“, erzählt die Vahrenwalderin. Das Geld, was sie bekommt, reicht gerade so eben zum Leben. Die Wege zur Tafel sind für die von Schmerzen gezeichnete Frau zu weit, die Taschen wären zu schwer. Und so hat sie sich mit ihrem bescheidenen Leben irgendwie arrangiert. „Wenn Waschmaschine oder Kühlschrank kaputt gehen, wird es schwierig“, erzählt Kordula, die mit ihrem Hund bei Wind und Wetter am Kröpcke auf dem Rollator sitzt und Passanten das neue Asphalt-Magazin anbietet.
Ein ähnliches Schicksal teilt Kalle. Der 84-Jährige ist der älteste unter den hannoverschen Verkäufern. Er steht unter dem Kröpcke am U-Bahn-Eingang und bessert sich mit dem Zeitungsverkauf ebenfalls sein Einkommen auf. Mehr als 50 Beitragsjahre sind auf dem Konto der Rentenversicherung notiert – zum Leben reicht das dennoch nicht. „Als Gehilfe in der Landwirtschaft hat er Kost und Logis bekommen, entsprechend niedrig war sein Einkommen und ist nun seine Rente“, erklärt Thomas Eichler.
Wie Kordula und Kalle geht es vielen anderen Menschen, weiß Horst Gora, organisatorischer Leiter der Hannöverschen Tafel. Sieben Ausgabestellen gibt es in der Landeshauptstadt, darüber hinaus fahren die Ehrenamtlichen der Tafel rund 40 Flüchtlings- und Obdachlosenheime an, um die Bewohner mit Lebensmitteln zu versorgen. Insgesamt erreiche seine Organisation damit rund 6.000 Armutsbetroffene. „Aber unsere Kapazitäten sind begrenzt“, sagt Horst Gora. Rund 80 Prozent der Bedürftigen seien heute Dauergäste, während die Tafel früher von vielen Menschen als Übergangslösung genutzt wurde. Vor zwei Jahren habe er erstmals ein Aufnahmestopp einrichten müssen. Aber nicht deshalb, weil Discounter wie Lidl oder Aldi oder Supermärkte wie Edeka etwa nicht genügend Ware an die Hannöversche Tafel abgeben. Vielmehr kommen die ehrenamtlichen Helfer an ihre Grenzen. Viele von ihnen seien 70 Jahre und älter, so Gora. Den Senioren könne man eben nicht mehr zumuten, acht Stunden lang Lebensmittel zu packen und auszugeben oder von Spendern abzuholen.
„Mittlerweile können sich von Armut betroffene Familien, die unsere Unterstützung benötigen, wieder telefonisch bei uns melden und rücken mit viel Glück nach“, erzählt Horst Gora. Er selbst schaut immer wieder fassungslos zu, wenn Tag für Tag volle Lieferwagen auf den Hof der Tafel rollen. „Die Lebensmittelspenden sorgen für eine Win-win-Situation, von der die Lebensmittelmärkte und die Tafeln gleichermaßen profitieren. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass viel zu viele Lebensmittel produziert werden – und wenn nicht bei uns, dann eben tonnenweise auf dem Müll landen.“
Und wie sieht er Geschäftsmodelle wie die App „Too good to go“ oder das „Rettertüten“-Konzept, mit denen sich Tafel-Partner Lidl gegen Lebensmittelverschwendung stark macht? „Wir kommen uns nicht ins Gehege, denn die einen setzen auf Restaurants, kleine Bäcker und Läden, mit den anderen teilen wir uns den Kuchen.“