„Hartnäckig weitermachen“

Popularmusikalische Szene der Landeskirche trifft sich beim Popkonvent in Burgdorf
Eine Band spielt auf einer Bühne vor Publikum
Bild: Lothar Veit

Popularmusik in der Kirche gibt es seit mehr als 60 Jahren. Doch oft wird sie immer noch als Jugendkultur marginalisiert. Mit neuen Ausbildungsformen, Netzwerkarbeit und Stellen für Popkantorinnen und -kantoren kommt nun Bewegung in die Szene.

Er spielte die Gitarre bei „Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer. Er arbeitete mit so unterschiedlichen Größen wie Meat Loaf, Udo Lindenberg, Lena, Sarah Connor und José Carreras zusammen. Die Rede ist von Peter Weihe. Der Gitarrist, Produzent und Hochschullehrer gehörte zu den illustren Referenten des Popkonvent ’24, dem Treffen der popularmusikalischen Szene der hannoverschen Landeskirche. Er gewährte dem Publikum in Burgdorf intime Einblicke in die deutsche und internationale Pop- und Rockgeschichte, die er selbst mitgeschrieben hat.

Und wie fing alles an? „Ich durfte mit meiner ersten Band in einem Gemeinderaum proben, der Pastor hat uns den Schlüssel gegeben“, erzählte der heute 68-Jährige. Man habe sich dort „ohne Zensur“ entwickeln können, „es war wie ein Zuhause“. Unzählige Karrieren haben so begonnen – und doch ist die Popmusik in der Kirche immer noch ein zartes Pflänzchen, das sich oft zu wenig gegossen fühlt.

Das Treffen in Burgdorf stand unter dem Motto „Pop – Kompetenz – Kirche“ und löste diesen Dreiklang auch ein. Zum Auftakt diskutierte Hannovers Regionalbischöfin Petra Bahr mit Peter Weihe und Sina Hensel, Leiterin der Servicestelle „Musikland Niedersachsen“. Sina Hensel war Konfi-Teamerin und Mitbegründerin einer Konfi-Band. „Wir durften machen, was wir wollten, das war eine super-wertvolle Erfahrung.“ Peter Weihe gefällt das.

Eine als Mann lesbare Person in einem Kamerasucher
Bild: Lothar Veit
Ralph Charbonnier, Theologischer Vizepräsident des Landeskirchenamts, im Podiumsgespräch.
Teilnehmende eines Bandworkshops studieren in einem Zirkuszelt gemeinsam ein Lied ein.
Bild: Lothar Veit
Teilnehmende des Bandworkshops beim Popkonvent studieren gemeinsam im Zirkuszelt ein Lied ein.

Dem Popkonvent-Team um Andreas Hülsemann geht es allerdings um mehr: Ziel ist es, das Machen-was-wir-wollen zu professionalisieren – mit Projektgeldern, Veränderungen in der Aus- und Fortbildung und dem flächendeckenden Einsatz von Popkantorinnen und -kantoren. Petra Bahr hat der Leiter des Netzwerks Popularmusik (net.p) dabei an seiner Seite: „Schon in meiner Zeit als Kulturbeauftragte der EKD habe ich dafür geworben, Popmusik als selbstverständlichen Teil der Kirchenmusik zu betrachten. Damals hätte ich gedacht, in zehn Jahren ist das selbstverständlich, aber leider ist es nicht so.“

Ralph Charbonnier, Theologischer Vizepräsident des Landeskirchenamts Hannover, setzt auf das neue Kirchenmusikgesetz, das derzeit in Arbeit ist: „Wir müssen zu einer geistlichen Gleichwertigkeit der Musikstile kommen. Dies sollte sich in der Ausbildung, bei Stellenplänen und Sachmitteln zeigen.“ In jedem Kirchenkreis sollte es Kirchenmusikerinnen und -musiker für Popularmusik geben, findet Charbonnier. „Gut wären weitere Kümmerer für die Popularmusik zur Gewinnung von Musikerinnen und Musikern aus der weltlichen Szene.“

Sina Hensel sieht mehrere Schnittstellen zwischen Land Niedersachen und Landeskirche – etwa bei der Nachwuchsarbeit oder der Suche nach Proberäumen. „Räume haben wir genug“, so Petra Bahrs spontane Reaktion. In Zeiten knapper Kassen hat die Diskussion über die gemeinsame Nutzung von Gemeinderäumen der Kirche längst begonnen. Die Regionalbischöfin wünscht sich, „dass die vielen unterschiedlichen Musikstile wunderbar nebeneinanderstehen können und im Crossover vielleicht sogar neue Effekte zünden.“

Zugleich warnte sie vor einer Überforderung des kirchenmusikalischen Personals: „Es besteht aktuell die Gefahr, dass Kirchenmusikerinnen und -musiker alles können sollen. Super an der Orgel sein, große Konzerte geben, das Weihnachtsoratorium zum Mitsingen anbieten, aber auch noch mit einem professionellen Ensemble aufführen, gleichzeitig Bandarbeit und Kinder zum Singen bringen und mit Demenzkranken arbeiten.“ Hier müsse man über eine Schwerpunktbildung nachdenken.

Bislang gibt es in der Landeskirche ein gutes Dutzend Popkantorinnen und -kantoren. Der Bedarf ist höher, manche Stelle konnte noch nicht besetzt werden, weil Bewerberinnen und Bewerber fehlen. Doch mit den Studierenden der Evangelischen Pop-Akademie in Witten und der C-Pop-Ausbildung für Nebenamtliche in der hannoverschen Landeskirche, bei der die Teilnehmenden unter anderem Band- und Chorleitung lernen, ist hier gerade viel in Bewegung.

„Ich durfte mit meiner ersten Band in einem Gemeinderaum proben, der Pastor hat uns den Schlüssel gegeben.“
Peter Weihe, Gitarrist und Produzent

Beim Popkonvent in Burgdorf konnten sich Interessierte über all diese Themen informieren. Wie funktioniert das Zusammenspiel in einer Band? Wie schreibe ich poetische Texte? Welche Einsingübungen eignen sich für Chöre? Und warum ist es eine vertane Chance, wenn zwei Gitarristen in einer Band das Gleiche spielen? Auf großes Interesse stieß auch das Konzept von Vorsängerinnen und Vorsängern im Gottesdienst. So lassen sich neue Lieder leichter mit der Gemeinde einüben – aber auch traditionelle, die den Gottesdienstbesuchenden vielleicht nicht mehr bekannt sind. Dem Kantor, der mit dem Rücken zur Gemeinde an der Orgel thront, wird die Kommunikation mit den Menschen schon allein baulich erschwert.

Koryphäen wie der Pianist Lutz Krajenski zogen die aktiven Musikerinnen und Musiker in ihren Bann. Gut angenommen wurde zudem die Möglichkeit, sich in Sachen Licht- und Tontechnik auszutauschen. Spätestens seit der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung ist wissenschaftlich erwiesen, dass Kirchenbesucherinnen und -besucher nicht nur gute Kirchenmusik, sondern vor allem auch eine besondere Atmosphäre in Kirchen schätzen. Die lässt sich am ehesten mit einer stimmigen Beleuchtung verstärken.

Ein abendliches Konzert auf einer Open-Air-Bühne vor einer Kirche
Bild: Lothar Veit
Stimmungsvolles Konzert auf dem Burgdorfer Spittaplatz vor der Pankratius-Kirche.

Selbstredend wurde während des dreitägigen Popkonvents, der zum ersten Mal stattfand, viel musiziert. Auf einer Open-Air-Bühne auf dem Spittaplatz vor der Burgdorfer St.-Pankratius-Kirche gaben sich am Freitagabend Liedermacherinnen und -macher das Mikro in die Hand. Am Samstagabend heizte zunächst die Popkantorband dem Publikum ein, bevor die Worshipband „Water+Wine“ aus Bremervörde einen begeisternden Auftritt hinlegte.

Für den Sonntagsgottesdienst, der wegen des Regens in der Kirche stattfinden musste, hatte sich das Vorbereitungsteam etwas Besonderes ausgedacht: Auf dem Programm standen klassische Gesangbuchlieder, die Gemeinde durfte allerdings per farbigen Karten abstimmen, in welcher Stilistik die Band sie spielt. Eine Rockversion von „Lobe den Herren“ und „Geh aus mein Herz“ im Techno-Beat waren das Ergebnis.

Unter dem Leitwort „Der Beat meines Lebens“ stand der ganze Gottesdienst, in dem Landesbischof Ralf Meister musikalische Motive aus der Bibel aufgriff und darauf hinwies, dass alles aus einem Rhythmus heraus lebe: Tag und Nacht, das Morgengebet, die Sonntagsruhe. Er selbst sei mit Popmusik groß geworden, erzählte er vor dem Gottesdienst im Gespräch mit Andreas Hülsemann. Zunächst unfreiwillig: Als Kind habe er bei Autofahrten auf dem Rücksitz immer die Schlagerparade mithören müssen. Die Popularmusik in der Kirche sieht der Landesbischof auf einem guten Weg. Sie ermögliche Menschen einen Zugang zum Glauben, den sie sonst nicht hätten. „In den letzten 20 Jahren hat es hier eine enorme Dynamik gegeben.“ Allerdings sei das vor allem einer „gewissen Hartnäckigkeit“ der Akteure zu verdanken. Auf die Frage, was er sich von den Popularmusikerinnen und -musikern in der Kirche wünsche, sagte Meister: „Weitermachen. Genau so weitermachen“.

Lothar Veit / EMA