Laserstrahl trifft Backsteingotik
Die St.-Nicolai-Kirche in Lüneburg ist mehr als 600 Jahre alt. Kürzlich wurde sie mit modernster Technik vermessen und fotografiert. Die Untersuchung ist nötig, weil Risse im Gewölbe aufgetreten sind.
Lüneburg. Vermessungstechniker Daniel Rumpf postiert das gelbe Metallstativ im Mittelgang der Kirche. Darauf befindet sich in Augenhöhe ein unspektakulärer grauer Kasten: ein Laserscanner mit Kamera. Rumpf startet die Messung. Brummend dreht sich der Scanner auf dem Stativ und sendet einen unsichtbaren Laserstrahl aus. Zwei Minuten später sind mehr als 100 Millionen Punkte im Kirchenraum erfasst.
St. Nicolai in Lüneburg, ein Meisterwerk der Backsteingotik, wurde zwei Tage lang vermessen und fotografiert. Anlass sind Risse im Gewölbe, die Ursache ist bisher unklar. Manch einer vermutet den früheren Salzabbau und dass damit einhergehende Absacken des Grundwasserspiegels. Die digitale Erfassung des Innenraums - auf den Zentimeter genau - soll eine Sanierung vorbereiten.
„Allein für die Untersuchung der Schäden und erste Notsicherungsmaßnahmen wird bisher ein sechsstelliger Betrag veranschlagt“, sagt die evangelische Gemeindepastorin Almuth Wiesenfeldt. Die eigentliche Sanierung des Gewölbes werde vermutlich in die Millionen gehen. „Das macht uns natürlich große Sorgen.“
Durchaus berechtigt beim Blick in die Geschichte. So waren schon Mitte des 19. Jahrhunderts erhebliche Anstrengungen nötig, um das Kirchengebäude zu erhalten. Ein Bauverein wurde gegründet, und sogar der preußische König Friedrich Wilhelm IV. soll an die Lüneburger appelliert haben: „Diese Kirche dürft ihr nicht sinken lassen.“ Für mehr als zehn Jahre konnte in St. Nicolai kein Gottesdienst stattfinden - auch damals waren Schäden am Gewölbe aufgetreten.
Daniel Rumpf arbeitet für das Ingenieurbüro rmk in Celle, das im Bereich Vermessung und Gedodaten bundesweit tätig ist. In St. Nicolai will er von mehr als 60 Positionen aus messen. Hierbei kommt dieselbe die gleiche Vermessungstechnik zum Einsatz, wie damals 2010 bei der Renovierung der Notre Dame in Paris. Dafür muss der 25-Jährige Stativ und Scanner von einem Standort zum nächsten tragen, über schmale Treppen die Emporen erklimmen. Und er muss schwindelfrei sein, um sich auf dem schmalen Umgang auf 14 Metern Höhe im Mittelschiff zu bewegen.
Am Ende der Aktion kann der Vermessungstechniker die mehr als 600 Jahre alte Kirche gleichsam in die Tasche stecken. Das Bauwerk ist auf dem Datenträger zu einer Wolke digitaler Punkte geworden - schönste Backsteingotik als Gigabyte-Paket. Aus den Rohdaten lässt sich ein 3D-Modell der Kirche erstellen. Außerdem entstehen Planzeichnungen in einer Präzision, wie es sie für das historische Gebäude bisher nie gab.
Das freut Beatrice Großmann, Ingenieurin beim kirchlichen Amt für Bau und Kunstpflege. Sie verfolgt den Scan in St. Nicolai mit fachkundigem Blick. „Wir bekommen ein exaktes verformungsgerechtes Aufmaß und eine Kartierung der Risse“, erläutert sie. „Damit können wir uns vortasten und die Sanierung angehen.“ Schon seit vergangenem Jahr laufe zusätzlich eine Langzeitmessung: Ausgewählte Risse wurden mit Sensoren versehen, die Veränderungen kontinuierlich erfassen.
Die Schäden haben bereits zu Einschränkungen im Kirchenraum geführt. „Einen Teil des Chorumgangs mussten wir sperren, nachdem sich ein Stein in der Decke gelockert hatte“, sagt Gemeindepastorin Almuth Wiesenfeldt. An anderen Stellen lösen sich feine Putzteilchen im Gewölbe oder Sand rieselt aus Fugen. Im Mittelschiff sind deswegen drei Bankreihen nicht nutzbar.
Um zu entscheiden, wie es weitergeht, ist nach dem Laserscan noch eine weitere Untersuchung geplant, sagt Beatrice Großmann. Das fast 30 Meter hohe Gewölbe im Mittelschiff solle dann mit einer Kameradrohne abgeflogen werden, um Risse aus allernächster Nähe zu dokumentieren.