Sexualisierte Gewalt: „Hört auf, erschüttert zu sein!“

Ein gehefteter Bericht im Format DIN A4

Berichte von der Tagung der Landessynode

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„Hört auf, erschüttert zu sein!“ Es ist ein deutlicher Satz, der keine Kompromisse zulässt. Betroffene sexualisierter Gewalt richten ihn spätestens seit der Veröffentlichung der ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche oder auch seit der Unabhängigen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in einer Kirchengemeinde in Oesede auch an die Landeskirche Hannovers. Vertuschung, gezieltes Wegsehen, Schutz von Tätern – das Vertrauen in Kirche ist an vielen Stellen mindestens schwer belastet, wenn nicht zerstört.

Wie reagiert die Landeskirche Hannovers?

Die ForuM-Studie und der Abschlussbericht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission in Oesede haben eine Reihe konkreter Fehler und Versäumnisse der Landeskirche Hannovers offenbart. Dazu zählen vor allem unterlassene Informationen an Betroffene und beteiligte Personen in den örtlichen Kirchengemeinden, eine deutlich unzureichend ausgestattete landeskirchliche Fachstelle sowie das Unterbleiben von Aufarbeitung bereits bekannter Fälle.

Im Landeskirchenamt hat sich nach der Veröffentlichung der Aufarbeitung in Oesede im Frühjahr dieses Jahres eine Arbeitsgruppe verschiedener Kompetenzfelder zusammengeschlossen, um jene Punkte zu identifizieren, die auf Ebene der Landeskirche Fehlerquellen beheben und Defizite schließen können. Auch eine betroffene Person sexualisierter Gewalt arbeitet in dieser Gruppe mit.

Zentraler Punkt, der umgehend umgesetzt werden soll, ist die deutliche personelle Verstärkung der Fachstelle. Unter anderem ist die bisher mit einem Stellenanteil von 25 Prozent bemessene Leitung bereits als 100-Prozent-Stelle ausgeschrieben worden. Hinzu kommen mehrere zusätzliche Stellen zur Stärkung der Prävention, der Schulung in den Kirchenkreisen, der Intervention, der Hilfe und Begleitung von Betroffenen sowie der Aufarbeitung bekannter Fälle.

Um die Fachstelle in ihrer Unabhängigkeit gegenüber der Kirchenleitung der Landeskirche zu stärken, ist sie künftig allein dem Präsidenten des Landeskirchenamts zugeordnet. Sie erhält zudem eine eigene Juristin, um unabhängig von der Rechtsabteilung im Landeskirchenamt Beratung und Begleitung von Betroffenen sicherstellen zu können.

Um das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Betroffenen zu stärken und das Thema sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext zu enttabuisieren, gibt es inzwischen niedrigschwelliges Informationsmaterial für Kirchengemeinden und Gemeindebriefe; weiteres Material ist bei der Evangelischen Medienarbeit in Vorbereitung. Gleiches gilt für die Überarbeitung von Fortbildungsangeboten für die Öffentlichkeitsarbeit in Kirchenkreisen und Einrichtungen.

Der wiederholten Kritik Betroffener, die Landeskirche habe sich nach Kontaktaufnahme nicht zuverlässig ihnen gegenüber verhalten, soll die Weiterentwicklung von Standards entgegenwirken. Auch die Interventionspläne, in denen das Vorgehen nach Bekanntwerden von Fällen sexualisierter Gewalt geregelt ist, werden überarbeitet.

Was passiert während der Frühjahrstagung der Landessynode in Loccum?

Zur aktuellen Berichterstattung

Die beschriebenen Stellenausschreibungen waren zwar angesichts der hohen Dringlichkeit bereits durch den Landessynodalausschuss vor der Frühjahrstagung bewilligt worden. Gleichwohl ist es ein hohes Anliegen der Synodalen, gemeinsam über die gravierenden Anfechtungen zu beraten. Am Freitag, 7. Juni 2024, bildet der Themenkomplex einen Schwerpunkt in der Tagesordnung: Nancy Janz, die sexualisierte Gewalt in der Landeskirche Hannovers erleben musste und sich heute gegen sexualisierte Gewalt engagiert, wird einen Eingangsimpuls halten und gehört zu insgesamt vier Betroffenen, mit denen die Synodalen in Kleingruppen in den Austausch gehen.

Was passiert bei der EKD?

Eine dringende Forderung der ForuM-Forschungsverbundes an die EKD ist die Auflösung der föderalen Unterschiedlichkeiten in diesem Bereich, die unter den 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Teil gravierende Unterschiede im Umgang mit Betroffenen zeigen. Einheitliche Prozesse und Ansprüche auf Anerkennungsleistungen erlittenen Unrechts gehören zu den zentralen Forderungen. Wie dies erreicht werden und welchen Inhalt die neuen Kriterien zu Aufarbeitung und Anerkennung haben können, gehört zum Arbeitsfeld des Beteiligungsforums der EKD. In ihm arbeiten Betroffene und kirchliche Mitarbeitende ebenbürtig und mit doppeltem Mehrheiten zusammen: Keine der beiden Gruppen kann gegen die andere einen Punkt durchsetzen. Nur wenn beide Gruppen jeweils eine eigene Mehrheit gefunden haben, hat der Beschluss Gültigkeit. Bis November 2024, so das bisherige Ziel, sollen erste Ergebnisse auf der Synodentagung der EKD vorgestellt werden. Auf diesem Feld kann eine Landeskirche alleine keine Beschlüsse vornehmen.

Ähnliches gilt für die Aufarbeitung: Bis Februar 2025, so eine Vereinbarung zwischen der EKD, der Diakonie und der Unabhängigen Beauftragten für Fragen sexuellen Missbrauchs bei der Bundesregierung (UBSKM), Kerstin Claus, sollen insgesamt neun „Unabhängige Regionale Aufarbeitungs-Kommissionen“ (URAK) ihre Arbeit aufnehmen. Die Landeskirche Hannovers ist vertreten in der URAK-Nord, zu der die evangelischen Kirchen in Niedersachsen sowie Bremen gehören. Die Geschäftsführung hat seit Frühjahr dieses Jahres Ute Dorzcok inne. Sie kümmert sich seither um die Organisation von Betroffenen-Foren, um möglichst viele Betroffene sexualisierter Gewalt zu finden, die künftig regelmäßig in der URAK mitarbeiten möchten. Hinzu kommen Vertreterinnen und Vertreter aus Landeskirchen. Auch die Landesregierungen benennen Mitglieder, um einen externen Blick sicherzustellen. Insgesamt dürfen weniger als die Hälfte der Mitglieder Beschäftige der Landeskirche oder der Diakonie sein.

Benötigen Sie Hilfe?

Sind Sie von sexualisierter Gewalt in der Landeskirche Hannovers betroffen? Haben sie Beratungs- oder Unterstützungsbedarf rund um das Thema sexualisierte Gewalt?

  • Die Mitarbeitenden in der Fachstelle der Landeskirche Hannovers sind für Sie telefonisch oder per Mail von Montag bis Freitag mindestens in der Kernzeit zwischen 09:00 und 15:00 Uhr aber z.T. auch darüber hinaus erreichbar. Die Kontaktdaten finden Sie hier.
  • Falls Sie die Fachstelle nicht erreichen, können Sie sich auch rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden unter der Nummer 0800- 111 0 111 oder 0800-111 0 222.
  • Für unabhängige Informationen für Betroffene sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie steht die Zentrale Anlaufstelle.help zur Verfügung. Telefon: 0800 5040 112, (Terminvereinbarung für telefonische Beratung: Mo 14-15:30 Uhr, Di bis Do 10-12 Uhr)
  • Ein weiteres Angebot ist das Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800-22 55 530, Telefonzeiten: Mo., Mi., Fr.: 9.00 bis 14.00 Uhr, Di, Do: 15.00 bis 20.00 Uhr.
Rebekka Neander l EMA