Missbrauchsbetroffene fordern Rücktritt von Landesbischof Meister

Kirchenleitung stellt sich hinter den Bischof / Zuspruch auch aus Oldenburg
Eine männlich lesbare Person mit Brille und kurzen grauen Haaren, ohne Bart, mit blauem Sakko und weißem Hemd im Gespräch vor einer Kamera.
Bild: Jens Schulze

Unmittelbar vor Beginn der hannoverschen Landessynode fordern Missbrauchsbetroffene, dass der Landesbischof sein Amt niederlegt. Sie sehen ihn in der Verantwortung für Versäumnisse im Umgang mit Missbrauch. Der Bischof lehnt einen Rücktritt ab und erhält Unterstützung aus der Konföderation.

Hannover. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister ist mit einer erneuten Rücktrittsforderung Missbrauchsbetroffener konfrontiert. Er müsse aus einem unzureichenden Umgang der Landeskirche mit Missbrauchsfällen Konsequenzen ziehen, heißt es in einem am Mittwoch vor Beginn der Tagung der hannoverschen Landessynode veröffentlichten offenen Brief: „Die einzige verantwortungsvolle Option ist der Rücktritt von Landesbischof Meister.“

Meister sagte am Rande der Tagung dem Evangelischen Pressedienst (epd), er lehne einen Rücktritt weiterhin ab. Er nehme die in dem Brief formulierten Vorwürfe ernst und befrage sich fortlaufend, wo er Fehler gemacht habe. Diese würden einen Rücktritt nicht rechtfertigen, betonte Meister, auch angesichts der Solidarität mit ihm, mit der die anderen kirchenleitenden Organe auf den Brief reagiert hätten. Er habe auf den offenen Brief bereits geantwortet. „Ich bin sofort und gerne bereit, mit den Betroffenen zu sprechen und lade sie dazu sein.“

Bereits im März hatte eine Missbrauchsbetroffene den Rücktritt des 62-Jährigen gefordert. Der Theologe steht seit 2011 an der Spitze der größten der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die kirchenleitenden Gremien stellten sich indessen hinter den Bischof. Sie seien überzeugt, „dass Ralf Meister seiner Verantwortung als Landesbischof gerecht wird, auch, indem er Fehler im Umgang mit Betroffenen eingeräumt und konkrete Verbesserungen eingeleitet hat“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung.

Sie ist verfasst vom Präsidenten der Landessynode, Matthias Kannengießer, vom Kollegium des Landeskirchenamtes, vom Bischofsrat und vom Vorsitzenden des Landessynodalausschusses, Jörn Surborg. Sie stünden dafür ein, dass es einen grundlegenden Kulturwandel und strukturelle Veränderungen in der Kirche geben werde. Surborg sagte in seinem Bericht vor der Synode, die Kirchenleitung stehe vor der großen Aufgabe, neues Vertrauen zu gewinnen.

Die Betroffenen machen Meister insbesondere für Versäumnisse in der landeskirchlichen Fachstelle für sexualisierte Gewalt verantwortlich. Auch nach einer Neuaufstellung 2021 würden Betroffene „weiterhin sehr negative Erfahrungen“ mit der Fachstelle machen, heißt es in ihrem Brief. Mails würden nicht oder nur schleppend bearbeitet, Daten teilweise ohne Zustimmung weitergegeben und „Betroffenen wird immer noch nicht geglaubt, wenn die Täter noch im Dienst sind“. Die Betroffenen werfen dem Bischof zudem vor, er habe sich nie persönlich bei ihnen entschuldigt.

In ihrer gemeinsamen Erklärung übernahmen die kirchenleitenden Gremien die Verantwortung für Mängel in der Fachstelle. Sie hätten die Unterbesetzung der Fachstelle bis 2021 nicht früh genug erkannt. „Dieses bedauern wir sehr.“ Mittlerweile sei die Fachstelle aber auf Initiative des Landesbischofs personell aufgestockt worden. Meister habe zudem Fehler im Umgang mit den Betroffenen eingeräumt und mittlerweile eine Reihe von Gesprächen mit Betroffenen geführt.

Der Brief wurde unmittelbar vor viertägigen Beratungen der Landessynode veröffentlicht, die am Mittwochnachmittag im Kloster Loccum bei Nienburg begann. Er wurde für die „Initiative “Sexualisierte Gewalt in der Landeskirche Hannovers: Meisterhafte Vertuschung beenden!" von den Betroffenenvertretern Dörte Münch, Horst E., Kerstin Krebs und Katharina Kracht unterzeichnet. Sie nehmen Bezug auf eine Rücktrittsforderung der unter Pseudonym auftretenden Missbrauchsbetroffenen Lisa Meyer aus dem März. Meyer hatte maßgeblich die Aufklärung von Missbrauchsfällen in der evangelischen Kirchengemeinde Oesede bei Osnabrück vorangetrieben. Sie war in den Jahren 1973 und 1974 als Elfjährige von einem angehenden Diakon dieser Kirchengemeinde mehrfach schwer missbraucht worden.

In dem Brief vom Mittwoch heißt es: „Als Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend unterstützen wir die Forderung von Lisa Meyer.“ Landesbischof Meister habe die Bedeutung des Themas sexualisierte Gewalt nicht erkannt.

Erst am Dienstag war ein Brief bekannt geworden, in dem mehr als 200 evangelische Pastorinnen, Diakone und kirchliche Mitarbeitende die Leitung der hannoverschen Landeskirche für deren Umgang mit Missbrauchsfällen kritisieren. Sie seien entsetzt über das Ausmaß sexualisierter Gewalt in der Kirche und den Umgang damit bis in die jüngste Vergangenheit, schreiben sie. „Das Verhalten kirchenleitender Verantwortlicher hat unser Vertrauen in die Kirchenleitung beschädigt“, heißt es in dem Schreiben. Landesbischof Meister hatte darauf mit Verständnis reagiert.

Konföderation unterstützt Meister nach neuerlicher Betroffenen-Kritik

Aus Sicht des Betroffenenvertreters Detlev Zander sind Rücktrittsforderungen an Bischof Ralf Meister aus Hannover wegen des Umgangs der Kirche mit Missbrauch berechtigt. Der Oldenburger Bischof Adomeit sagte am Donnerstag, er wolle Meister den Rücken stärken.

Hannover (epd). Der Sprecher der Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Detlev Zander, hat Rücktrittsforderungen gegen den hannoverschen Landesbischof Ralf Meister als berechtigt bezeichnet. Wenn Meister im Amt bliebe, wäre der Aufarbeitungsprozess gestört, sagte Zander dem Norddeutschen Rundfunk nach einem Bericht vom Donnerstag. Unterdessen versicherte der Oldenburger Bischof Thomas Adomeit, er werde Meister den Rücken stärken. Zu der Rücktrittsdebatte wollte er sich nicht äußern.

Zander sagte über Meister: „Die Fehler, die er zugegeben hat, macht er jetzt wieder.“ Es sei ein Armutszeugnis, wie mit Betroffenen umgegangen werde. Der Bischof müsse sich fragen, ob er noch der Richtige sei, oder ob er Platz machen solle für wirkliche Reformen und wirkliche Aufklärung. Meister sei der Kirche ebenso wie den Betroffenen sexualisierter Gewalt einen Neuanfang schuldig.

Adomeit, der auch Ratsvorsitzender der evangelischen Kirchen in Niedersachsen ist, sagte am Donnerstag, er nehme es Meister ab, dass dieser das Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche sehr ernst nehme. „Dass er es sich zu Herzen nimmt.“ Zu den Diskussionen in der hannoverschen Kirche werde er sich jedoch nicht positionieren, sagte Adomeit weiter. Aber er habe „ein großes Vertrauen, dass auch unsere Schwestern und Brüder in Hannover ordentlich mit dem Thema umgehen“.

Es sei mutig, dass in Hannover begonnen worden sei, darüber zu reden. Damit sei ein Anfang gesetzt, gut mit dem Thema umzugehen. „Das Schweigen ist das größte Problem.“

Meister lehnt einen Rücktritt ab. Er nehme die in dem Brief formulierten Vorwürfe ernst und befrage sich fortlaufend, wo er Fehler gemacht habe. Diese würden einen Rücktritt nicht rechtfertigen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch am Rande der Synodentagung seiner Landeskirche in Loccum (Wortlaut siehe unten).

Im Wortlaut: Gemeinsame Erklärung des Präsidenten der Landessynode, des Vorsitzenden des Landesynodalausschusses, des Kollegiums des Landeskirchenamtes und des Bischofrates

„Wir haben heute Kenntnis erhalten von einem offenen Brief von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Sie fordern darin den Rücktritt von Landesbischof Ralf Meister und äußern deutliche Kritik an der Arbeit der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der Landeskirche und an der Aufarbeitungs- und Präventionsarbeit in der Landeskirche Hannovers insgesamt.

Bei der Pressekonferenz zum Bericht der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Fall Oesede am 15. März 2024 hat Landesbischof Meister betont, dass er sich mehr denn je in der Verantwortung dafür sieht, dass die Empfehlungen der Kommission und die daraus folgenden Konsequenzen zügig umgesetzt werden.

In der Folge hat die Landeskirche Hannovers entscheidende Veränderungen eingeleitet, um der berechtigten Kritik von Betroffenen sexualisierter Gewalt und der Aufarbeitungskommission nachzukommen. Um die Fachstelle Sexualisierte Gewalt zu stärken, haben wir eine Neuordnung der Zuständigkeiten innerhalb des Landeskirchenamts vorgenommen. In diesem Zusammenhang wurden und werden die personellen Ressourcen in der Fachstelle deutlich ausgeweitet. Die Verfahrensabläufe in der Fachstelle werden wir zusammen mit Betroffenen fortlaufend überprüfen. Landesbischof Meister hat mittlerweile eine Reihe von Gesprächen mit Betroffenen geführt und wird diese auch fortsetzen. Das Gesprächsangebot richtet sich ausdrücklich auch an die Unterzeichnenden des offenen Briefes.

Als kirchenleitende Gremien sind wir überzeugt, dass Ralf Meister seiner Verantwortung als Landesbischof gerecht wird, auch, indem er Fehler im Umgang mit Betroffenen eingeräumt und konkrete Verbesserungen eingeleitet hat.

Ebenso sind wir der Überzeugung, dass die Mitarbeitenden der Fachstelle Sexualisierte Gewalt ihre Aufgaben professionell, mit großem Engagement und im Sinne der Betroffenenorientierung erfüllen. Es ist unser Fehler, dass wir die Unterbesetzung der Fachstelle und ihre Folgen insbesondere in den Jahren bis 2021 nicht früh genug erkannt und entsprechend reagiert haben. Dieses bedauern wir sehr. Deshalb haben wir hier, auch auf Initiative von Landesbischof Meister, deutlich nachgebessert.

Gemeinsam mit dem Landesbischof stehen wir als Kirchenleitung dafür ein, dass es in unserer Landeskirche einen grundlegenden Kulturwandel und strukturelle Veränderungen geben wird. Unser aller Anliegen ist es, dass Kirche künftig ein sicherer Raum ist.“

Statement Ralf Meister im Wortlaut

"In der Sache sind die meisten Vorwürfe, die vier Betroffene sexualisierter Gewalt jetzt in ihrem Brief formuliert haben, eine Wiederaufnahme der Reaktionen nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der Unabhängigen Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in einer Kirchengemeinde in Oesede. Auch in der Wiederholung bringen mich diese Vorwürfe natürlich zur Frage der persönlichen Verantwortung und lassen mich fragen, was ist meine persönliche Schuld? Wo habe ich Fehler gemacht? Sie führen mich jedesmal wieder in eine ernste eigene Überprüfung. Ich habe den vier Betroffenen heute persönlich geantwortet und die Einladung zu einem persönlichen Gespräch ausgesprochen.
 
Neu und anders ist in dem Brief die Kritik an der Fachstelle sexualisierte Gewalt. Wir müssen einsehen, dass unter der enormen Drucksituation, unter der die Fachstelle auch aufgrund ihrer unzureichenden personellen Ausstattung gestanden hat, auch Fehler passiert sind; einiges davon ist in der Oesede-Aufarbeitung beschrieben. Dies sind hochsensible Punkte, an denen wir für die entstandenen Verletzungen nur um Entschuldigung bitten können. Ich widerspreche jedoch entschieden jedem Versuch, die Qualität der Fachstelle in Gänze zu diskreditieren.
 
Wir müssen uns mit allem, was wir können, darum bemühen, Fehler zu vermeiden. Die jetzt anstehende deutliche Aufstockung der Fachstelle sowie die Stärkung ihrer Unabhängigkeit sind zwei entscheidende Schritte auf diesem Weg. Wir haben eine Reihe weiterer Veränderungen seit Jahresbeginn geplant und zum Teil bereits umgesetzt. Das nimmt nichts weg vom Versagen auf unserer Seite, aber – auch angesichts der Solidarität seitens der kirchenleitenden Organe – ist die jetzige Situation für mich kein Anlass zurückzutreten."

epd Niedersachsen-Bremen/Pressestelle EMA