Happy B-Day – Brief mit Segen im KI-Design
Wenn Lilian Gutowski sich auf den Weg zu Kirchenkreisen macht, hat sie immer einen Stapel Post dabei. Statt Rechnungen und Behördenschreiben bringt sie gute Wünsche mit. „Liebe Lena, unsere guten Wünsche zusammen mit Gottes Segen gehen raus an Dich“, steht auf einer Karte, die sie auf den Tisch im Gemeindehaus legt. Auf der Vorderseite erstrahlt eine Kirche in poppigen KI-Design. „Happy B-Day“ steht in weißer Blockschrift daneben. Unterschrieben hat die Karte Matthias Weindel, Lenas Pastor in der Stadtkirchengemeinde Wolfsburg, und er hat auch ein Geburtstagsgeschenk für Lena: zwei Kinogutscheine, die sie in einem Wolfsburger Kino einlösen kann. Das Geschenk bestimmte jeder Kirchenkreis dabei selbst.
Gut ein Jahr lang bereitete Lilian Gutowski, Referentin für Mitgliederkommunikation in der Landeskirche Hannovers, das Pilotprojekt der Kirchenpost vor. Vier verschiedene Designs wurden dafür von einer Agentur entworfen und anschließend von Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren in einer Marktforschung getestet. „In den Testgruppen waren Konfirmandinnen und Teamer, aber auch Jugendliche, die Kirche absolut kritisch sehen“, erzählt Lilian Gutowski. Das KI-Design überzeugte alle. „Und nicht nur das. Selbst die kritischsten Jugendlichen fanden es toll, dass Kirche an sie denkt“, erzählt Gutowski. „Ihr Auftrag an uns war entsprechend deutlich: Setzt die Kirchenpost fort. Baut sie aus, vor allem für die Zeit nach der Konfirmation. Nur dann glauben wir, dass der Kontakt zu uns auch ernst gemeint ist.“
Entscheidend für die gute Resonanz war aber nicht nur das Design oder der persönliche Gruß vom Pastor: „Unsere Post ist erwartungslos“, erklärt die Referentin, „sie fordert nicht dazu auf: Komm in den Gottesdienst oder werde Teamerin. Sie sagt nur: Schön, dass es Dich gibt. Wir denken an Dich, feiern Dich und begleiten Dich durch Dein Leben.“ Genau darum gehe es bei der Kirchenpost: Die Kernbotschaft von Kirche in den Alltag zurückzuholen. Daran zu erinnern, „dass wir eine christliche Gemeinschaft sind und jede und jeder gleichermaßen geschätzt wird und willkommen ist.“ Das komme in der Gemeindearbeit mancherorts zu kurz. „Einige Gemeinden erzählten, dass sie nur rund 15 Prozent der Mitglieder bisher persönlich anschreiben. Ansonsten setze man auf den Gemeindebrief. Das liegt auch an daran, dass einige glauben, Kirchenmitglieder hätten kein Interesse an einem Kontakt, wenn sie der Gemeinde fernbleiben. Doch das stimmt nicht. Daher schreiben wir auch alle Mitglieder an.“ Denn auch die Verbundenheit von „kirchenfernen“ Mitgliedern zur Kirche sei hoch. Besonders deutlich habe das auch die aktuelle Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) gezeigt: „Kirchenmitglieder unterstützen sehr bewusst mit ihrer Kirchensteuer die sozialen und diakonischen Angebote von Kirche – und damit Menschen, die Unterstützung benötigen. Denn Kirche ist für sie auch eine starke solidarische Gemeinschaft, die füreinander einsteht. Dazu möchten sie ihren Teil beitragen.“
Für die Kirchenkreise war diese Erkenntnis die größte Überraschung in der Pilotphase. In dreistündigen Workshops zeigte Lilian Gutowski dabei unterschiedliche Gruppen von Kirchenmitgliedern auf – und ihre unterschiedlichen Erwartungen an Kirche. „Das löste eine richtige Welle aus“, erinnert sie sich. Schnell folgten weitere Termine. Mit Diakoninnen und Diakonen, beim Kirchenamt oder in der Kirchenkreissynode. „Es war den Kirchenkreisen wichtig, dass diese Erkenntnisse alle Ebenen erreichen“, freut sich die Referentin.
Genauso schnell entstanden eigene Ideen, um neue Kontakte zu Kirchenmitgliedern aufzubauen. Der Kirchenkreis Wolfsburg-Wittingen entwickelte so beispielsweise eine Glückwunschkarte zur Geburt eines Kindes. Dazu gibt es einen Würfel mit Vergissmeinnicht-Samen als Geschenk. Andernorts entstanden Ideen für gemeinsame Gottesdienste mit der Feuerwehr, einem „Segen-To-Go“, einer Pop-up-Kirche auf dem Wochenmarkt oder Veranstaltungen mit dem örtlichen Sportverein. „Es wurde aber auch analysiert, welche Schreiben bisher an Mitglieder verschickt wurden. Man schaute also plötzlich sehr genau aufs Design und die Sprache“, sagt Lilian Gutowski. „Das fing an mit der Einladung zum Konfirmationsunterricht bis zur Erinnerung an die KV-Wahl.“
Frauke Josuweit, Öffentlichkeitsreferentin im Kirchenkreis Wolfsburg Wittingen ist froh, dass die Kirchenpost in ihrem Kirchenkreis so viel in Bewegung brachte. Post von der Kirche zu bekommen – das ist dabei auch für sie dabei neu: „Eine richtig nette Post im Briefkasten nach einem Umzug? Mit Willkommensgruß und einem Segen für den neuen Lebensabschnitt? Das ist bei mir trotz mehrerer Umzüge in meinem Leben bisher noch nie vorgekommen.“
Und wie reagierten nun die Kirchenmitglieder auf die Kirchenpost? „Es gab ausschließlich positives Feedback“, freut sich Josuweit und hofft, dass die Kirchenpost bald noch mehr Mitglieder erreicht. Denn in der einjährigen Pilotphase der Kirchenpost wurden bisher nur Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren angeschrieben. Durchschnittlich 14 Prozent von ihnen reagierten auf die Post. „Einige Jugendliche bedankten sich dabei auch sichtlich gerührt bei der Diakonin oder dem Pastor vor Ort für die guten Wünsche zum Geburtstag", erzählt Lilian Gutowski.
Im Kirchenkreis Harzer Land reagierten sogar 44 Prozent der Jugendlichen auf die Kirchenpost. „Bis auf eine Ausnahme waren es Jugendliche, die bisher keinerlei Kontakt zur Gemeinde suchten“, berichtet André Dittmer, Pastor in Clausthal-Zellerfeld. „Durch die Kirchenpost kamen sie plötzlich zum ersten Mal ins Büro der Diakonin und redeten mit ihr.“ Darauf kann man aufbauen, findet er. Im Gespräch bleiben. Zeigen, wofür Kirche steht. Lilian Gutowski kann diesen Gedanken nur unterstreichen. Denn vielen Mitgliedern seien die Angebote ihrer Kirche vor Ort auch nicht mehr bekannt. Das betreffe gerade auch neue Angebote, die die Lebenswelten der Kirchenmitglieder neu in den Blick nehmen. Die Ideen der Kasualagenturen seien ein gutes Beispiel dafür „Auf diese Angebote sollte man – je nach Anlass – auch hinweisen in der Kirchenpost“, rät Gutowski. „Denn sie erreichen so auch jene, die nicht mehr den Gemeindebrief lesen.“
Klar ist für die Referentin aber auch: Ohne die enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden lässt sich die Mitgliederkommunikation nicht umzusetzen: „Man kann die Kirchenpost nicht von oben nach unten delegieren“, ist sie überzeugt. „Die Kirchenpost ist auch eine Haltungsfrage. Wie möchten wir sein als Kirche? Dafür braucht es eine enge Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die gegenseitige Unterstützung.“ Die Referentin hofft, dass die neue Mitgliederkommunikation jetzt auch landeskirchenweit Fuß fasst. Ab nächstem Jahr sollen dafür weitere Postvorlagen entstehen und auch die digitale Kommunikation stark ausgebaut werden. Ziel sei vor allem, der steigenden Zahl der Kirchenaustritte entgegenzuwirken und zugleich eine Kommunikation aufzubauen, die sich an den Mitgliederinteressen orientiert.
Wer sich auf die Kirchenpost einlässt, könnte auch mit kritischen Gemeindemitgliedern wieder besser ins Gespräch kommen, ist sie überzeugt. Ganz praktisch erlebte sie es selbst in einem Kirchenkreis: „Als ich die Kirchenpost dort vorstellte, war ein 15-jähriger Teamer anwesend. Als er unsere Geburtstagskarten sah, sagte er. ‚Ja, wenn Kirche auch so ist, dann ist sie ja mal cool‘.“ Dieser neue Wind müsse aber auch in der Gemeinde ankommen. „Er plante erst kurz zuvor in seiner Gemeinde eine Techno-Party für Jugendliche in der Kirche. Der Kirchenvorstand lehnte das ab. Für ihn war klar, dass es dann auch nicht mehr seine Kirche sei“, erzählt Gutowski. „Plötzlich meldete sich dann aber ein Diakon und sagte: ‚Und warum fragst Du mich nicht? Ich bin auch Kirchenvorstand. Und in unserer Gemeinde bekommt Ihr Eure Techno-Party ‘.“ Für Lilian Gutowski ist die Kirchenpost so auch mehr als nur eine Postkarte im Briefkasten. Sie ist ein Türöffner. Für Gespräche. Begegnungen. Und manchmal auch ein Problemlöser.