Passgenauer Segen

Pop-Up-Taufen, „Segen to go“ oder auch spontane Hochzeiten – an vielen Orten gibt es Ideen, Dinge anders als bisher zu machen.
Von hinten sind verschwommen zwei Personen auf weißen Stühlen erkennbar, die zur Trauung vor einem goldenen Altar sitzen. Im Vordergrund brennt eine rote Kerze.
Bild: Nancy Heusel
Eine blonde, weiblich gelesene Person in gelber Strickjacke sitzt vor einer großen, dunklen Holzwand und lächelt.
Elisabeth Rabe-Winnen ist beauftragt als Ansprechpartnerin und Koordinatorin im Aufbau eines Kasual- und Segensnetzwerkes der Landeskirche Hannovers.

Menschen nehmen die klassischen Kasualien immer weniger in Anspruch – die Zahlen bei Taufen, Trauungen, Trauerfeiern mit kirchlicher Begleitung sinken. Zudem konkurriert Kirche mit anderen Anbietenden wie etwa freien Traurednerinnen und -rednern. „Darum ist es nötig, neben den bestehenden gemeindlichen Angeboten zusätzliche Wege zu gehen“, sagt Elisabeth Rabe-Winnen. Die Pastorin ist beauftragt als Ansprechpartnerin und Koordinatorin im Aufbau eines Kasual- und Segensnetzwerkes der Landeskirche. „EKD-weit und darüber hinaus im deutschsprachigen Raum wie auch in unserer Landeskirche gibt es Menschen und Regionen, die sich auf den Weg machen.“

Das kann etwa ein großes Tauffest sein, offen für spontane Teilnehmende. Oder eine Candle-Light-Trauung am Schnapszahldatum. Oder ein Hochzeitsfestival mit der Möglichkeit für die spontane Trauung. Segen to go auf Märkten oder zu besonderen Anlässen. Meistens haben die Ideen großen Erfolg, die Angebote sind gut besucht. „Die Ideen und Initiativen in unserer Landeskirche versuche ich wahrzunehmen, zu vernetzen oder zu beraten. So können wir voneinander lernen und mit gemeinsamer Energie das Thema für unsere Landeskirche voranbringen“, so Rabe-Winnen.

Eine weiblich gelesene Person im Talar steht an einem Mikro vor dem Meer. Rechts steht ein Holztisch mit Holzkreuz darauf.
Tauffest am Dümmer im Kirchenkreis Grafschaft Diepholz.

Dabei wäre die Landeskirche Hannovers keine Vorreiterin: In Bayern ist die „Segen.Servicestelle“ am Markt, die Anfragen in die Landeskirche vermittelt. In Hamburg gibt es St. Moment, eine Kasualagentur für die „Heiligen Drei“ Taufe, Trauung und Beerdigung. Anfragen werden dort individuell begleitet, Pakete für die Kasualien sind auf der Homepage zu finden, mögliche Musik kann auf Spotify-Listen angehört werden. Von der Arbeit in Hamburg hat sich Berlin anstecken lassen: Dort gibt es das Segensbüro, das Segen nicht nur zu den klassischen Anlässen anbietet, sondern auch zu anderen Punkten im Leben. 

„Die Vision ist ein Netzwerk mit unterschiedlichsten Knotenpunkten für die Begleitung von Menschen.“
Elisabeth Rabe-Winnen
Eine weiblich gelesene Person in Winterjack und mit Mütze steht in einer Weihnachtsmarkt-Holzbude, vor sich eine Kiste und ein Tannenbaum.
Luisa Pandera hat einen Stellenanteil für „Pop Up und Segen“ und tourte 2023 mit den Ortspastorinnen und -pastoren über die Weihnachtsmärkte im Kirchenkreis Burgdorf.

Und in Niedersachsen? Im Kirchenkreis Diepholz ist mit der „Ankerzeit“ ein Anlaufpunkt entstanden: eine Pastorin und eine Diakonin arbeiten zusammen in der Verkündigung für junge Erwachsene, dazu zählen etwa gemeinsame Freizeiten zum Auftanken und Durchatmen. In Hannover startet im Juli der Aufbau einer Kasualagentur. Im Kirchenkreis Gifhorn entsteht eine Segensagentur, die von einer Pastorin im Ruhedienst als Gastdienst geleitet wird. Im Kirchenkreis Burgdorf hat eine Pastorin im Probedienst einen Stellenanteil für „Pop Up und Segen“ und legt den Fokus auf mobile Formen. Denn es gelte immer im Auge zu haben, was am jeweiligen Ort funktionieren kann. „Im Kirchenkreis Burgdorf etwa sind Märkte prägend: Pferdemarkt, Oktobermarkt, Erntefest und so weiter“, sagt Elisabeth Rabe-Winnen. „Deswegen ist dort in Planung, eine Ape, ein dreirädriges Fahrzeug mit Ladefläche, anzuschaffen, um mit ihr flexibel an verschiedenen Orten Segen zu bringen, Andachten zu feiern oder Aktionen machen zu können. Genau so soll es im Segensnetzwerk sein: herausfinden, was zur jeweiligen Region passt.“

Spricht man mit der Referentin vom Michaeliskloster Hildesheim, sprudelt sie nur so vor Ideen. Doch wo Wandel ist, ist auch Kritik. Die Parochie zerbreche, ist oft ein Vorwurf. „Dem ist nicht so“, hält Rabe-Winnen dagegen. „Die Erfahrungen bisher zeigen deutlich, dass andere Leute zu den neuen Angeboten kommen, dass wir andere Zielgruppen erreichen. Es geht nicht um Konkurrenz zur Parochie, sondern weitere Wege und Zugänge.“

Und der Vorwurf, Rituale würden „verwässert“, wenn sie im Vorbeigehen, „to go“, geschehen? „Auch wenn es sich etwa ,spontane Taufe‘ nennt – wer mitmacht, hat den Wunsch nicht spontan, sondern findet nun einfach eine Gelegenheit“, so Rabe-Winnen. „Ein Beispiel, das ich selbst erlebt habe: beim ,Trausegen to go‘ am 22.2.22 in Burgdorf betraten zögerlich ein Mann und eine Frau die Kirche, standesamtlich seit 48 Jahren verheiratet. Die Frau hatte immer den Wunsch, auch kirchlich zu heiraten, aber es passte irgendwie nie und sie hatten Scheu vor einer großen Feier und mit kirchlichen Amtsträgern vor Jahrzehnten schlechte Erfahrungen gemacht. Dann lasen sie von dem Angebot des spontanen Trausegens und sagten sich: ,Das passt jetzt, das machen wir‘. Wir haben dann eine kleine, sehr persönliche Trauung gehabt, mit nochmaligem Ringetausch. Sie gingen beflügelt und lachend und meinten: ,Das glauben uns die Kinder nie!‘. Also, ich glaube nicht, dass die Kirche oder Gottesdienste untergehen, aber wir brauchen Neues, wo Dinge wegbrechen.“ Letztlich könne man so langfristig auch Nicht-Mitglieder erreichen. Das Interesse an der Begleitung wichtiger Lebenspunkte ist da, sagen auch Soziologen – ein großes Potenzial für kirchliche Angebote. 

Eine männlich gelesene Person im Anzug und eine weiblich gelesene in einem Brautkleid stehen links und rechts eines kerzenerleuchteten Herzens auf einer spiegelnassen Straße.
Bild: Stephan Lackner
In Hannover kommen Events wie die Candle-Light-Trauung gut an.

Hinter allem steht eine Haltungsänderung: Kundenorientierung als Nächstenliebe. „Jesus sagte es so: ,Was willst du, das ich dir tun soll?‘ Und diese Haltung spiegelt sich in Kasualien wider, die Lebensgeschichten wertschätzen“, sagt Elisabeth Rabe-Winnen. „Das passiert vielerorts schon genau so. An vielen Orten. In vielen Gemeinden. In vielen liebevoll gestalteten Kasualien. Wir wollen mit dem Segensnetzwerk die Initiativen bündeln, beraten und vernetzen. Es gibt die Initiativen, die bereits auf dem Weg sind und einige weitere Regionen, die beraten, was für sie passend sein kann. Natürlich muss nicht jeder Kirchenkreis eine Agentur gründen, aber wir wollen kasualfreundliche Kirche sein.“

Diese Haltungsänderung könne dann auch über die Kasualien hinaus fruchtbar sein für den Gottesdienst, so Rabe-Winnen. Menschen haben weiterhin religiöse Sehnsucht. Aber sie richten ihre Kalender nicht nach religiösen Themen aus. Fasten? Im DryJanuary, nicht zu Ostern. Den Kopf frei bekommen? Unbedingt – aber nicht im Gebet, sondern mit Yoga. Der 31. Oktober ist natürlich Halloween und, achja, seit neuestem auch in Niedersachsen ein Feiertag. Die Frage ist, wie die Lebensrealität der Menschen und kirchliche Angebote zusammenpassen.

Christine Warnecke/EMA