Gekommen um zu bleiben? Aljona erzählt von dem Leben nach der Flucht

Mehr als eine Million Ukrainer und Ukrainerinnen haben Zuflucht in Deutschland gefunden. Eine von ihnen erzählt vom neuen Leben.
Fünf Menschen sitzen um einen Gartentisch auf einer Terrasse. Links, unscharf im Vordergrund, hängt eine blau-gelbe Fahne.
Bild: Nancy Heusel/epd
Eine Frau mit kurzen, braunen Haaren sitzt an einem Tisch in einem Café. Vor ihr steht eine braune Tasse mit Milchschaum.
Bild: Tanja Niestroj/EMA
Aljona ist im März 2023 mit ihrem jüngsten Sohn in Hannover angekommen.

Aljona, Sie sind seit im März 2022 in Deutschland angekommen. Aber woher kommen Sie? Und wie haben Sie Ihre letzten Tage in der Ukraine erlebt?

Aljona: Ich bin aus Winnyzja, einer Stadt zwischen Kiew und Odessa, geflohen. Unser Heimatort wurde zum Zeitpunkt meiner Flucht zwar noch nicht angegriffen, aber später, etwa fünf Monate nach Kriegsbeginn, fielen die ersten Bomben auf Krankenhäuser und einen Flughafen in der näheren Umgebung. Nur rund 250 Kilometer entfernt Richtung Südosten gibt es ein Atomkraftwerk. Deshalb waren die letzten Tage in Winnyzja von furchtbarer Angst geprägt. Wir haben jeden Tag mit dem Schlimmsten gerechnet und wurden regelrecht traumatisiert.

Irgendwann stand für Sie fest, dass Sie Ihr Heimatland verlassen wollen. Waren Sie auf die Flucht vorbereitet? Und warum ist die Entscheidung für Deutschland gefallen?

Aljona: Ich habe mich innerhalb weniger Tage entschieden, gemeinsam mit meinem 14-jährigen Sohn zu gehen. Meinen Ehemann habe ich zurückgelassen. Er arbeitet noch heute mit Eltern und Geschwistern im Familienunternehmen, einer Bilderrahmenwerkstatt, und konnte sich nicht vorstellen, die Ukraine zu verlassen. Auch meine Mutter wollte unbedingt bleiben. Für uns beide ging es zunächst nach Thüringen, dort hatte mein älterer Sohn bereits sein Studium begonnen. Die ersten Tage verbrachten wir in seiner Wohnung. Er hat sich sehr gefreut, uns zu sehen, konnte allerdings überhaupt nicht realisieren, dass wir vor dem Krieg geflohen sind.

Wie haben sich die ersten Tage in Deutschland angefühlt?

Aljona: Der Anfang war schwer. Mein jüngerer Sohn war unglücklich, weil er alle Freunde zurücklassen musste. Gott sei Dank konnten wir uns verständigen, ich hatte doch in der Ukraine als Deutsch- und Englischlehrerin gearbeitet. Nach wenigen Wochen sind wir nach Hannover gezogen. Eine Kollegin hatte dort bereits eine Wohnung gefunden und hat uns angeboten, mit einzuziehen. Sie ist mittlerweile wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, die Wohnung konnten wir behalten.

Was haben Sie in Ihrer Heimat beruflich gemacht und wie schwer ist es, hier ins Arbeitsleben einzusteigen?

Aljona: In der Ukraine habe ich auf Lehramt studiert und einige Jahre als Deutsch- und Englischlehrerin gearbeitet. Als die Kinder geboren waren, bin ich in den Familienbetrieb meines Mannes eingestiegen. Aber die Arbeit hat mich nicht glücklich gemacht. Ich wollte immer mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Hier in Deutschland ist es schwierig, wieder in meinen alten Beruf einzusteigen. Ich arbeite bereits in zwei Grundschulen in Teilzeit als pädagogische Fachkraft. Um als vollwertige Lehrkraft anerkannt zu werden, müsste ich noch ein oder zwei Jahre studieren. Ich möchte aber gern finanziell unabhängig sein, deshalb habe ich diesen Gedanken erst einmal aufgeschoben.

Sie haben eine Wohnung und Arbeit gefunden, Sie haben Deutsch gelernt. Sie leben damit praktisch ein ganz anderes, neues Leben?

Aljona: Ja, aber es ist ein wunderbares Gefühl, das zu tun, was ich will. Ich bin neben meiner Arbeit beispielsweise ehrenamtlich als Integrationslotsin für andere Menschen aus verschiedenen Ländern da. Und im Ukrainischen Verein bringe ich Geflüchteten die deutsche Sprache bei.

Sie sind auch in der Kirche sehr engagiert. Wie wichtig ist Ihnen der Glaube?

Aljona: Ich erlebe die Gemeinde, in der ich Sprachunterricht anbiete, als große Gemeinschaft. Früher dachte ich, Kirche ist etwas für ältere Menschen. Heute fühle ich mich in der Kirche sehr gut aufgehoben und gehe auch gern in den Gottesdienst.

Wünschen Sie sich, so schnell wie möglich nach Winnyzja zurückzukehren?

Aljona: Nein, ich möchte in Deutschland bleiben. Früher war ich oft zerrissen, weil ich mich beruflich nicht verwirklichen konnte. Natürlich gibt es hier Schwierigkeiten, aber meine Aufgaben helfen mir dabei, nicht so viel darüber nachzudenken. Auch mein Sohn ist mittlerweile angekommen. Er besucht das Gymnasium, hat Freunde gefunden, macht Musik und fühlt sich wie zu Hause. 

Was glauben Sie, wie lange wird der Krieg noch dauern?

Aljona: Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Krieg ganz plötzlich endet.

Diakonie Katastrophenhilfe ist weiter in der Ukraine im Einsatz

Zwei Jahre nach dem Einmarsch Russlands gerät die humanitäre Lage in der Ukraine zunehmend aus dem Blickfeld. Fast täglich sterben Zivilisten bei Luftangriffen, die Infrastruktur wird gezielt zerstört. „Die Folgen werden noch Generationen spüren“, warnt Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe. Für humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau brauche es einen langen Atem und Spenden. Das Spendenergebnis sei auch 2023 gut gewesen, aber nur ein Bruchteil dessen, was noch 2022 gespendet wurde.

Tanja Niestroj/EMA