
Hannover. Nach dem Streit um die Besetzung der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission (URAK) zur Aufarbeitung von Missbrauch in den evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen haben Betroffene die niedersächsische Landesregierung zu einer weiteren Mitarbeit aufgefordert. „Wir erwarten von der Landesregierung neue Vorschläge, damit die gemeinsame Aufarbeitung in einem konstruktiven Dialog auf Augenhöhe durchstarten kann“, schreibt die Betroffenenvertretung für die Region in einer am Montag öffentlich gemachten Erklärung.
Bundesweit sollen bis Ende März neun regionale Gremien zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie an den Start gehen. In Niedersachsen kam es jedoch zum Eklat: Die Landesregierung hatte die frühere Landesjustizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) und die Präsidentin der Klosterkammer Hannover, Thela Wernstedt, benannt. Beide traten noch vor dem Start der Kommission zurück, weil Betroffene ihre Unabhängigkeit von der Kirche infrage stellten.
In ihrer Erklärung widerspricht die Betroffenenvertretung für die URAK Niedersachsen-Bremen einem „von der Landesregierung implizierten Vorwurf“, die Betroffenen hätten unangemessen auf die Personalien reagiert. „Dass die beiden vorgeschlagenen Delegierten als nicht kirchenunabhängig zu sehen sind, war der entsendenden Landesregierung bereits länger bekannt“, heißt es in der Stellungnahme. Betroffene hätten ihre Bedenken bereits mehrfach schriftlich erläutert, allerdings ohne Resonanz. Auch ein Gesprächsangebot seitens der Landesregierung habe es nicht gegeben.
Regierungssprecherin Anke Pörksen hatte die Bewertung der Betroffenen Mitte März als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet. Niewisch-Lennartz und Wernstedt hätten bewiesen, dass sie über ein hohes Maß an innerer Unabhängigkeit verfügten. Die Landesregierung sehe sich nun außerstande, andere Personen für die URAK zu benennen.
Die Betroffenen hatten darauf verwiesen, dass Niewisch-Lennartz Mitglied der Synode der hannoverschen Landeskirche war. Die Ärztin und frühere SPD-Landtagsabgeordnete Wernstedt war ebenfalls Synodenmitglied und gehört unter anderem dem Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages an. „Wir verstehen nicht, wieso die Schilderung der Tätigkeiten in verschiedenen Gremien der Kirche nicht selbstverständlich als kirchennah verstanden wird“, argumentiert die Betroffenenvertretung in ihrer Erklärung.
An der geplanten Aufarbeitungskommission sind die Landeskirchen in Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe, Bremen und die Reformierte Kirche sowie deren diakonische Werke beteiligt. Die Kommission soll aus neun Mitgliedern bestehen, von denen nur weniger als die Hälfte Beschäftigte der evangelischen Kirche oder der Diakonie sein oder einem ihrer Gremien angehören dürfen. Grundlage ist eine Vereinbarung der EKD mit der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus.
Für die Kommission benennen die Betroffenen Delegierte und die beteiligten Kirchen drei Vertreterinnen oder Vertreter. Drei unabhängige Expertinnen und Experten sollen zudem von den Landesregierungen benannt werden.