
Loccum. Der evangelische Theologe und Friedensethiker Michael Haspel hält die jüngsten Äußerungen der neuen US-amerikanischen Regierung zum Ukraine-Krieg und zur Sicherheit in Europa für einen historischen Einschnitt. „Sicherheitspolitisch ist es so gefährlich wie nie seit der Kuba-Krise 1962“, sagte Haspel dem Evangelischen Pressedienst (epd) bei einer Tagung der Evangelischen Akademie Loccum bei Nienburg. Die US-Regierung stelle ohne Not die liberalen Werte der bisherigen westlichen Staatengemeinschaft und die grundlegende Solidarität mit Europa infrage. „Die Veränderungen sind so gravierend, dass sie das vielleicht selbst noch gar nicht begriffen haben.“
Haspel bezog sich unter anderem auf das einseitige Verhandlungsangebot von US-Präsident Trump zum Ukraine-Krieg an den russischen Präsidenten Putin und auf die Rede des US-Vizepräsidenten Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Dabei hatte Trump von vornherein eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine ausgeschlossen und Gebietsabtretungen ins Spiel gebracht. „Die US-Regierung hat leichtfertig die Menschenrechte von mehreren Millionen Menschen in den von Russland besetzten Gebieten aufgegeben“, sagte Haspel. Der Professor lehrt Systematische Theologie und Sozialethik am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt sowie an der Universität Jena.
Der Friedensethiker bezeichnete es als gutes Zeichen, dass die europäischen Regierungschefs rasch begonnen hätten, sich auf einen gemeinsamen Kurs als Antwort darauf zu verständigen. „Europa wird mehr für die eigene Verteidigungsfähigkeit und vor allem für die Abschreckungsfähigkeit tun müssen“, sagte er. „Das ist aus dem Blick der evangelischen Friedensethik eine Perspektive, die wir uns natürlich gar nicht wünschen.“ Sie stimme aber mit den Grundsätzen der Friedensethik überein, Menschenrechte als letztes Mittel auch mit Waffengewalt zu verteidigen.
Haspel rief dazu auf, zivile Mittel zur gewaltfreien Lösung von Konflikten trotz allem nicht aus dem Auge zu verlieren. Diese hätten aus evangelischer Perspektive den Vorrang vor militärischen Mitteln, und sie würden auch in der Ukraine gebraucht, wenn es nach dem Krieg darum gehen werde, wieder mit Russland als Nachbarn zusammenzuleben.
Die Kirchen könnten dazu beitragen, nicht in eine einseitige militärische Perspektive zu verfallen und „die Friedensperspektive offenzuhalten“, sagte der Professor. Sie könnten auch versuchen, über ökumenische Kanäle einen Prozess der Verständigung in Gang zu bringen, auch wenn dies momentan wenig realistisch erscheine. „Wir sollten das eine tun und das andere nicht lassen“, betonte Haspel. Er resümierte jedoch: „Im Moment ist es mit zivilen Mitteln nicht möglich, die Ukraine zu verteidigen. Die Europäer sollten sich nicht beirren lassen, für eine liberale rechtsstaatliche Demokratie und die Menschenrechte auch der Menschen in der Ukraine einzutreten.“