Hans-Joachim Rolf geht als Landeskirchenmusikdirektor in den Ruhestand

Im Interview blickt er zurück und erzählt, was sich verändert hat und wie es für ihn persönlich weitergeht.
Drei Menschen stehen erhöht vor einer anderen Person. Die mittlere trägt Talar und reicht der entgegenstehenden Person die Hand.
Bild: Jens Schulze/EMA

Vor 30 Jahren lebten wir in den 90ern. Im Radio lief Mr. Vain von Culture Beat oder Barbie Girl von Aqua. Welche Stücke waren populär in den Gottesdiensten der 90er Jahre?
Hans-Joachim Rolf:
Die Gottesdienstlandschaft war bei weitem nicht so ausdifferenziert wie heute. Der "Hauptgottesdienst" am Sonntagmorgen nach Agende I mit den traditionellen liturgischen Gesängen war der Normalfall. Außer in besonders geprägten Gemeinden kam Popularmusik kaum vor. Das offizielle Gesangbuch-Beiheft dieser Zeit, "Umkehr zum Leben" – Kirchentagsliederheft von 1983 –, enthielt als "Neuestes" etliche Lieder von Fritz Baltruweit – das ist für uns heute eher Klassik als Pop!

Welche Reise hat die Kirchenmusik in den vergangenen 30 Jahren hingelegt?
Hans-Joachim Rolf:
Mit dem Gottesdienst hat sich auch die Kirchenmusik gewandelt. Die "Lebensweisen" 2005 waren ein wichtiger Meilenstein, um die stilistische Vielfalt der Popularmusik für die Gottesdienstgemeinde zu erschließen. Die "Freitöne" haben diesen Weg fortgesetzt.

Welche Entwicklungen gibt es aktuell in der Kirchenmusik?
Hans-Joachim Rolf:
In dem Moment, in dem ein gedrucktes (Gesang-)Buch erscheint, ist es veraltet. Will sagen: Der kreative Prozess, Kirchenmusik zu komponieren – und zwar weit über Gemeindelieder hinaus –, geht unaufhörlich weiter. Hierfür braucht es Profis, gerade auch in der Popularmusik. Nur "gute" Musik wird Bestand haben!  "Gut gemeint" hilft nicht weiter: Kirchenmusik muss "gut gemacht sein" – in jeder stilistischen Richtung. Und in der Popularmusik entwickelt sich gerade richtig viel – das ist wichtig.

Haben Sie Visionen, die Sie als LKMD gern zum Leben erweckt hätten?
Hans-Joachim Rolf:
Ich hatte das Glück, zwei Visionen sogar mit verwirklichen zu können: ein "Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik", in dem man hervorragende Bedingungen für Aus- und Fortbildung vorfindet, und ein Kirchenmusikgesetz, das (hoffentlich) auf Dauer tragfähige Strukturen schafft, damit Kirchenmusik nicht nur erhalten bleibt, sondern sich weiterentwickelt.

Zwei männlich gelesene Personen, eine älter mit weißem Haar und Brille und Fliege, neben einer jüngeren mit rotem Schlips in einer Kirche.
Bild: Jens Schulze/EMA
Hans-Joachim Rolf (l.) geht in den Ruhestand und übergibt den Staffelstab an seinen Nachfolger Benjamin Dippel.

Wie hat sich Ihr persönlicher Musikgeschmack über die Jahre verändert?
Hans-Joachim Rolf:
Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der die meisten Verantwortlichen für Kirchenmusik meinten, klare Qualitätskriterien zu haben nach denen man entscheiden könne, welche Musik in der Kirche ihren Platz hat und welche nicht. Ich bin mit der Zeit sehr entspannt geworden und lasse mich gern auch auf Ungewohntes und Neues ein. Man muss einfach ausprobieren dürfen.

Mit welchem Gefühl lassen Sie dein Berufsleben hinter dir?
Hans-Joachim Rolf:
Den Beruf habe ich gern ausgeübt. Aber nach 40 Jahren in mehr oder weniger großer Verantwortung für die Kirchenmusik dürfen (und müssen!) gern andere Personen ran. Ich kann die Arbeit getrost und völlig entspannt an meinen Nachfolger und viele andere hervorragende und engagierte Kolleg:innen weitergeben.

Machen Sie sich Sorgen um die Kirche? Was gibt Hoffnung? Und: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Hans-Joachim Rolf:
Den Fortbestand des jetzigen "Modells" einer Landeskirche, die sich als Volkskirche versteht (in dem Sinne, für alle Menschen erreichbar sein zu wollen und Angebote für die gesamte Zivilgesellschaft vorzuhalten), sehe ich tatsächlich skeptisch. Aber Kirche hat auch das Potenzial, sich neu zu erfinden – was nötig sein wird!
Ich wünsche mir, dass die Verantwortlichen auf allen Ebenen wahrnehmen, dass es einen Bereich gibt, der die Kirche schon jetzt trägt, weil er viele Menschen mit dem Glauben in Berührung bringt und auch sonst große Zukunftschancen hat: die Kirchenmusik!

Wie wird Ihr Alltag als Ruheständler aussehen? Von 100 auf 0?
Hans-Joachim Rolf:
Ja, von 100 auf 0, was die Nutzung meines Büros betrifft! Im Übrigen bleibe ich Musiker und werde gern das eine oder andere Projekt mitmachen, Orgel und Klavier spielen. Aber vor allem möchte ich gemeinsam mit meiner Frau reisen, spontan Wandern gehen, die Kinder und die Enkel häufiger treffen u.v.a.

Der bewegendste Moment Ihrer Laufbahn als Musiker?
Hans-Joachim Rolf:
Da könnte ich manches nennen – aber den Elias von Mendelssohn mit Thomas Quasthoff in der Titelrolle zu dirigieren, war schon ein Erlebnis in der wunderbaren, neu renovierten Michaeliskirche!

Ich stelle die Behauptung auf, dass Sie Ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Welche Aspekte Ihres Berufsalltags waren weniger Hobby als Pflicht?
Hans-Joachim Rolf:
Der LaKiMuDi, wie die Mitarbeitenden des Landeskirchenamtes liebevoll sagen, hat nicht in erster Linie die Aufgabe, selbst Musik zu machen, sondern Musik zu ermöglichen. Daran hängt viel Verwaltung, Administration, Moderation, Krisengespräche, Arbeitsgruppen, Sitzungen… Ich habe das nie gescheut, aber manches ist nicht vergnügungssteuerpflichtig!

Work-Life-Balance. Ein Begriff, der in aller Munde ist. Welche Rolle spielte er in Ihrem Leben?
Hans-Joachim Rolf:
Leider fast keine, wie meine Familie bestätigen wird … Ich sag’s mal so: Für mich war der Beruf ein wesentlicher Teil des Lebens. Andere Bereiche sind dabei definitiv zu kurz gekommen.

Susann Grünert/Michaeliskloster