Kirchentagspräsidentin: „Hier bewegt sich etwas“

Eine Frau mit mittellangen, dunklen Haaren und grauem Blazer steht vor einem dunklen Schrank mit Glaseinsätzen, durch die Bücher erkennbar sind. Links steht ein rosa Aufsteller mit der weißen Aufschrift "Kirchentag 30. April bis 4. Mai 2025 in Hannover"
Bild: epd-bild/Jens Schulze

Hannover/Jena. Die frühere thüringische Umweltministerin Anja Siegesmund (46) hat im Oktober offiziell die Präsidentschaft für den 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2025 in Hannover übernommen. Die ehemalige Grünen-Politikerin aus Jena löst in diesem Ehrenamt den CDU-Politiker Thomas de Maizière ab, der den Kirchentag 2023 in Nürnberg geleitet hatte. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert sie, warum sie eine Großveranstaltung wie den Kirchentag heute für wertvoll hält. Der nächste evangelische Kirchentag wird vom 30. April bis zum 4. Mai 2025 in der niedersächsischen Landeshauptstadt gefeiert. Das Motto lautet „mutig – stark – beherzt“. Erwartet werden mehrere Zehntausend Teilnehmende.

Frau Siegesmund, wie wird man eigentlich Kirchentagspräsidentin?

Siegesmund: Jeder Kirchentag ist eine Einladung. Meinen ersten habe ich 1999 in Stuttgart erlebt, ungetauft. Da lag im Stadtzentrum ein großer Salzberg, der zeigte allen, die am Kirchentag teilnahmen: Ihr seid das Salz. Aber was ist, wenn unser Glaube nicht mehr gut genug gewürzt ist? Genau dafür ist der Kirchentag da: Dazu beizutragen, wieder Kraft zu sammeln, um im Glauben zu stehen. Nach der Taufe als Erwachsene bin ich Teil einer sehr lebendigen Gemeinde in meiner Heimatstadt Jena und nun gemeinsam mit Thomas de Maizière und dem Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör der Präsidiumsvorstand des Kirchentages.

Wozu brauchen wir aus Ihrer Sicht heute den Kirchentag?

Siegesmund: Gäbe es den Kirchentag nicht, man müsste ihn gerade jetzt erfinden. Angesichts der entsetzlichen neuen Kriege, Terroranschläge und Konflikte sind wir alle in großer Unruhe. Angesichts der Klimakrise und des hohen Drucks, unter dem unsere Demokratie steht, braucht es den Kirchentag als Plattform, wo man sich respektvoll und zuversichtlich begegnet, wo man sich gegenseitig im Guten unterstellt: Der oder die andere könnte ja auch recht haben. Wo man sagt: Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, die Gemeinschaft zu stärken. Das ist die DNA, die Essenz des Kirchentages. Und das macht ihn gerade jetzt in dieser Zeit der Stapelkrisen so wertvoll.

Beim letzten Kirchentag in Nürnberg war die Teilnehmerzahl allerdings rückläufig. Statt 100.000 Menschen wie sonst kamen nur 70.000. Was muss passieren, dass es wieder mehr werden?

Siegesmund: In Nürnberg feierten wir nach vier Jahren Pause den ersten Kirchentag nach der Corona-Pandemie. Bei der Vorbereitung konnten wir anfangs nicht mal ausschließen, dass wir beim gemeinsamen Singen vielleicht Mindestabstände einhalten müssten – Gott sei Dank war dem nicht so. Was wir erlebt haben, war ein Neustart: Der Kirchentag ist wieder da. Das hat Nürnberg gezeigt. Und ich bin mir sicher, dass jetzt wieder mehr Menschen zu Großveranstaltungen kommen werden.

Nun ist ja der Kirchentag auch so ein Generationen-Ding. Viele sind seit vielen Jahren und Jahrzehnten dabei. Damit wird der Kirchentag aber auch immer älter. Wie kann er wieder jünger werden?

Siegesmund: Indem er die Belange der Jugend verstärkt in den Mittelpunkt rückt. Wir müssen die Jugend ins Zentrum stellen. Damit meine ich nicht nur das „Zentrum Jugend“, das natürlich wieder seinen Platz haben wird, sondern die Fragen, die junge Leute bewegen. Die werden wir ganz in der Mitte des Kirchentages verhandeln und ihnen viel mehr Raum geben.

Es gibt im allgemeinen Sprachgebrauch mittlerweile den Ausdruck „Wie auf einem Kirchentagsbasar“. Das ist meistens negativ gemeint. So als wäre alles möglich. Ärgert Sie das?

Siegesmund: Es ist nicht alles möglich, weil wir Schwerpunkt-Themen setzen. Und es gibt bei jedem Kirchentag rote Linien. Wer ausgrenzt, wer rassistisch oder antisemitisch unterwegs ist, gehört nicht zur Kirchentagsbewegung. Ansonsten dürfen sich bei unserem „Markt der Möglichkeiten“ natürlich ganz viele gesellschaftliche Gruppen präsentieren. Denn das macht uns doch aus, dass wir als Christinnen und Christen an ganz unterschiedlichen Stellen unseren Beitrag leisten. Das finde ich überhaupt nicht negativ.

Wer beim Kirchentag unterwegs ist, kann manchmal den Eindruck gewinnen, dass er auch eine Art Netzwerk-Treffen von Menschen ist, die hauptberuflich für die Kirche arbeiten. Wie kann man dafür sorgen, dass ein breiteres Publikum erreicht wird?

Siegesmund: Ich würde mir wünschen, dass überall da, wo frisch Konfirmierte sind, Hauptamtliche auf die Idee kommen, diese Jugendlichen zu einer Gruppenfahrt auf den Kirchentag einzuladen und zu begleiten. Meine jüngste Tochter hat beim Kirchentag in Nürnberg gesagt: Mama, warum kann ich nur zwei Tage dort sein? Warum nicht alle fünf? Das ist genau der Moment, um den es geht. Zu sehen und zu spüren: Hier bewegt sich etwas. Und man lässt sich bewegen. Diese besonderen Momente kann man nicht planen. Die kommen einfach auf einen zu. Davon müssen wir viel stärker erzählen. Dies ist auch und gerade eine Einladung an jene, die aus der Kirche ausgetreten sind, die auf der Suche nach Halt im Glauben sind und natürlich auch an Menschen anderer Religionen.

Michael Grau (epd)