Cuxhaven, Hamburg. Seeleute sind nach den Erfahrungen der Deutschen Seemannsmission bei traumatischen Ereignissen an Bord wie schweren Unfällen, Havarien, Bränden oder Todesfällen in doppelter Weise betroffen. „Anders als beispielsweise bei Polizei und Feuerwehr können sie Opfer werden, sind aber auch Retter und Begleiter“, sagte Seemannsdiakon Dirk Obermann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb seien eine spezifische Begleitung und eine mentale Unterstützung wichtig, betonte der Koordinator der psychosozialen Notfallversorgung bei der Deutschen Seemannsmission mit Sitz in Hamburg.
„Bei einem Brand an Bord sind sie selbst betroffen, müssen aber auch löschen und möglicherweise das Schiff sicher in einen Hafen bringen“, verdeutlichte der 57-jährige Experte. Oft seien sie dann noch über Monate an Bord und müssten sich auch räumlich weiter mit den teils traumatischen Erlebnissen auseinandersetzen.
Die Deutsche Seemannsmission setzt sich Obermann zufolge in solchen Situationen in einem Netzwerk für die Seeleute ein. Eine zentrale Funktion nimmt dabei das Havariekommando in Cuxhaven ein, das seit 20 Jahren das maritime Notfallmanagement in Nord- und Ostsee koordiniert. „Bei der Seemannsmission sind mittlerweile mehr als 40 Kolleginnen und Kollegen als psychosoziale Fachkräfte ausgebildet“, sagte Obermann.
Aufgrund ihrer weltweiten Arbeit in den Häfen habe die Seemannsmission bei den meist international zusammengesetzten Besatzungen einen großen Vertrauensvorschuss. „Dadurch bekommen wir in Krisen relativ schnell einen Draht zu den Seeleuten“, erläuterte Obermann. „Traumatische Erlebnisse können Stresssymptome auslösen wie Schlaf- und Appetitlosigkeit. Dann ist es wichtig, zu erklären: Das ist normal. Was du erlebt hast, ist nicht normal.“ Es gehe oft vor allem darum, über ein Ereignis zu sprechen, das nur schwer in Worte zu fassen sei.
Allerdings könnten Krisen und Notfälle auch zu Albträumen und Panikattacken führen. „Manchmal verlieren die Betroffenen das Gefühl für Raum und Zeit.“ Wenn die Symptome über Wochen anhielten, drohe eine Posttraumatische Belastungsstörung. In solchen Fällen sei professionelle Hilfe nötig. „Dann sind der Kapitän und die Reederei gefragt, etwa bei der Frage, ob ein Crewmitglied nach Hause zur Familie fliegt.“
Der Tod eines Kapitäns an Bord eines Containerfrachters auf dem Weg nach Südafrika habe ihm gezeigt, wie wichtig spirituelle Angebote in der psychosozialen Notfallversorgung seien, erinnerte sich Obermann. „Zuerst waren alle geschockt. Aber dann wurde der Leichnam an Bord aufgebahrt und im Hafen von Port Elizabeth in aller Würde an Land gebracht, die Crew konnte sich mit einem Gottesdienst verabschieden. Das hat allen gezeigt: Die Menschen hier sind nicht einfach ein Ersatzteil, das man wie eine Maschine auswechselt.“