Mit der Drohne durchs Gewölbe
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Knapp 29 Meter hoch ist der Innenraum von St. Nicolai in Lüneburg. Im Gewölbe sind Risse aufgetreten. Um die aus der Nähe anzusehen, wurde jetzt eine Kameradrohne eingesetzt. Inzwischen steht fest: Die Kirche muss bis auf Weiteres geschlossen bleiben.
Lüneburg. Wo sonst Orgel und Gemeindegesang erklingen, ist heute das aufdringliche Sirren von vier Propellern zu hören. An höchst ungewöhnlichem Ort steigt mit grün blinkenden Lichtern eine Drohne auf: im Innenraum der mehr als 600 Jahre alten Nicolai-Kirche in Lüneburg.
Die Fernbedienung hält Rick Burock (35) in der Hand. Der Ingenieur steuert die Kameradrohne Joch für Joch durchs Gewölbe, um aus nächster Nähe Risse zu fotografieren. Vorbereitung für eine millionenschwere Sanierung, die in der Backstein-Basilika in den nächsten Jahren voraussichtlich ansteht.
Zwei Tage war die Kirche in dieser Woche für den Drohnenflug geschlossen. Mehr als 500 Bilder in hoher Auflösung hat Burock nun im Computer. Für Laien ein eher langweiliges Album, die Fotos zeigen immer das gleiche Motiv: Risse und noch mehr Risse in verputzten Flächen, in Gewölberippen, im Mauerwerk. Für Fachleute jedoch wird aus den Nahaufnahmen eine aufschlussreiche Landkarte der Schäden (Update vom 4. Februar 2025: Inzwischen musste die Kirche geschlossen werden. Lesen Sie hier mehr zur aktuellen Entwicklung.)
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Das Mittelschiff von St. Nicolai, einem Juwel der Backsteingotik, ist knapp 29 Meter hoch. Die Rippen im Gewölbe, die die Last der Decke abtragen, sind als kunstvolles Sternenmuster angelegt. „Hier ein Gerüst aufzustellen, ist außerordentlich komplex und teuer“, erklärt Burock, der für die Firma CRP Bauingenieure aus Berlin angereist ist. Für spätere Bauarbeiten wird ein Gerüst nötig sein. Doch die Untersuchung vorab ist mit der Drohnenbefahrung möglich. Bis auf einen halben Meter lässt sich das Fluggerät an Decken und Wände herannavigieren.
„Erste Schäden haben wir im Sommer 2022 bemerkt“, berichtet Gemeindepastorin Almuth Wiesenfeldt. „Einen Teil des Chorumgangs mussten wir sperren, nachdem sich ein Stein in der Decke gelockert hatte.“ An anderen Stellen lösen sich feine Putzteilchen im Gewölbe oder Sand rieselt aus Fugen. Im Mittelschiff sind deshalb drei Bankreihen gesperrt.
Seitdem finden Baumaßnahmen zu Notsicherung statt – und Untersuchungen, um das Ausmaß der Schäden zu erfassen und der Ursache auf die Spur zu kommen. So wurde im Juli 2024 der Innenraum von St. Nicolai mit einem 3D-Scanner präzise vermessen und eine erste Kartierung von Schäden vorgenommen. Zudem lief eine Langzeitmessung: Ausgewählte Risse wurden mit Sensoren versehen, um ihre Veränderungen über ein Jahr zu erfassen.
Ingenieur Rick Burock kennt die vorläufigen Ergebnisse und spricht von einem „dynamischen Rissgeschehen“. Soll heißen: Das Gebäude ist millimeterweise in Bewegung, Risse vergrößern sich, werden aber auch wieder kleiner – in Wellen übers Jahr, sogar über den Tag. Temperatur und Luftfeuchtigkeit spielten dabei auf jeden Fall eine Rolle, erläutert Burock. Aber welche Faktoren noch? Eine Auswertung der bisherigen Daten, auch der Drohnenfotos, will das Ingenieurbüro demnächst vorlegen.
„Allein für die Untersuchung der Schäden und die Notsicherungsmaßnahmen ist ein mittlerer sechsstelliger Betrag nötig“, betont Almuth Wiesenfeldt. Die eigentliche Sanierung des Gewölbes werde in die Millionen gehen, so die Pastorin. In diesem Jahr soll zunächst ein weiterer Teil des Chorumgangs saniert werden.