„Die Sorge, was kommt, ist sehr groß“
Debora Becker packt noch Kisten aus. Drei Jahre hat sie mit ihrer Familie in den USA verbracht, in einem Vorort von Washington D.C., und kam nur Tage vor der Präsidentschaftswahl zurück nach Deutschland. Seit November ist sie nun Pastorin in Mehle, Esbeck, Sehlde und Wülfingen nahe Hildesheim. Und zwischen den Kartons und Koffern finden sich auch Enttäuschung über den Ausgang der Wahl und Sorgen, wie es weitergeht: „Wir hatten schon gedacht, dass es mit Kamala Harris eine ernstzunehmende Gegnerin gibt, aber das war offensichtlich nur das Bild in unserer linken Wohngegend.“
Nun gebe es in „ihrer“ amerikanischen Gemeinde große Fragezeichen, was der Sieg Trumps für sie bedeutet. „Die Gemeinde ist zum Beispiel in der Flüchtlingsarbeit sehr engagiert. Der Pastor hat am Tag nach der Wahl schon eine sehr enttäuschte Mail an die Gemeindemitglieder geschickt, dass sie mit ihrer Arbeit weitermachen wollen, auch wenn die Regierung ihnen vielleicht demnächst Steine in den Weg legt oder gar Unmoralisches verlangt. Das ist für einen Amerikaner schon eine sehr ungewöhnlich deutliche Positionierung“, erzählt Debora Becker.
Auf der einen Seite habe sie in den USA eine große Weltoffenheit erlebt, eine Weite und Vielfalt, landschaftlich wie kulturell. „Auf der anderen steht jetzt die Befürchtung, dass sich mit Trump, seinem antiquierten Frauenbild, seinem Ignorieren der Klimakrise und der Ankündigung, die Ukraine nicht mehr zu unterstützen, vieles zum Schlechteren wendet.“ In welcher Form genau, das kann wohl noch niemand absehen. Wie gern hätte Debora Becker neben den Erinnerungen an drei spannende Jahre im Ausland auch ein Stück Perspektive ausgepackt – doch die Hoffnung darauf muss sie weiterhin aus ihrem Glauben ziehen.
Fragen zum Wahlsieg Donald Trumps an…
...Felix Paul, Referent für Friedensarbeit in der Service Agentur der Landeskirche, und Maria Sinnemann, Referentin für Demokratiebildung und -förderung in der Service Agentur der Landeskirche.
Frau Sinnemann, Herr Paul, die US-Wahl liegt nun einige Tage zurück. Wie schätzen Sie die Ergebnisse ein?
Sinnemann: Ich fürchte, dass da noch nicht genug Zeit war, die Dinge sacken zu lassen. Am selben Tag, als wir vom Wahlsieg Trumps hörten, löste sich abends die Ampel-Koalition auf. Die Kriege in der Ukraine und Gaza dauern an, dazu bestehen die Klimakrise und andere Sorgen. Wir leben in einer Zeit, in der viele Krisen aufeinander kommen. Einige wichtige Aspekte und Folgen der US-Wahl kann man natürlich schon absehen. Insgesamt denke ich aber, dass es noch dauern wird, bis man erkennen kann, was die Ergebnisse tatsächlich im Einzelnen bedeuten.
Paul: Es sind viele Fragen offen. Trump hat angekündigt, den Ukraine-Krieg zu beenden – wie wird das genau aussehen? Muss Deutschland dann dort aktiver werden und mehr in die Bundeswehr investieren? Hat das vielleicht Auswirkungen auf einen neu diskutierten Wehrdienst bei uns? Was passiert in der Zeit bis Januar, wenn Trump ins Amt eingeführt wird? Da ergeben sich viele Unsicherheiten.
Überrascht Sie die Eindeutigkeit, mit der Trump gewonnen hat?
Sinnemann: Ja, das ist die wesentliche Überraschung dieses Wahltages. Mir stellt sich die Frage, warum so viele Menschen einen Mann wählen, der offen lügt, der sich sexistisch und rassistisch äußert, ein verurteilter Straftäter noch dazu. Das können viele Menschen hier, denke ich, schwer verstehen. Dies zu ergründen und gleichzeitig klar Stellung zu beziehen, sehe ich als Teil unserer Aufgaben als Kirche an, so viel kann man schon sagen.
Als Christinnen und Christen Stellung zu beziehen könnte aber auch schwierig sein, weil Trumps Sieg nicht nur auf den viel beschriebenen Fundamentalisten beruht, sondern auch viele andere, sich als Christen bezeichnende Menschen, ihn gewählt haben. Wie passen diese beiden Bilder vom Christ-Sein zusammen?
Paul: Das stimmt, das ist eine Frage, die wir nun diskutieren und analysieren wollen: Was macht das mit unserem Christsein, warum haben ihn so viele Menschen gewählt? Sicherlich spielt da die teils fast religiöse Verehrung eine Rolle, insbesondere seit dem Attentat auf ihn; die Inszenierung als starke Persönlichkeit, die die Dinge richten kann. Das hat schon ikonografische Züge.
Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn Lügen und Desinformation so bereitwillig eingesetzt werden? Wenn jemand nicht mal bestreitet, dass er diese Mittel nutzt?
Paul: Leider verfangen diese Mittel sehr gut und schnell. Denn Trump und Co. sprechen die Gefühle der Menschen an und bevor ein möglicher Faktencheck eine Aussage widerlegt, sind die Emotionen, oft Wut, schon da. Das dann wieder einzufangen, ist sehr schwer. Insgesamt verunsichert das die Gesellschaft natürlich. Das sehen wir nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und Europa.
Sinnemann: Es gibt mittlerweile viele junge Menschen, die mit dem Internet und auch mit Desinformation aufgewachsen sind. Gerade mit ihnen müssen wir ins Gespräch darüber kommen, dass lügen keinesfalls normal ist, und wie Demokratie und ein guter Umgang mit Medien funktionieren. Schulische und außerschulische demokratische Bildung wird da zukünftiger noch wichtiger.
Paul: Mit den Gedenkstätten, Friedensorten, verschiedenen Bildungseinrichtungen und Akademien haben wir in dieser Hinsicht starke Kooperationspartner.
Würden Sie sagen, politische beziehungsweise demokratische Bildung ist ein zentrales künftiges Anliegen für Sie und uns als Kirche?
Sinnemann: Auf jeden Fall. Jede Entscheidung, jeder Lebensbereich hat eine politische Dimension: Welche Medien ich nutze, welche Produkte ich konsumiere, bis hin zu der Frage, wie und mit welchen Worten ich meinem Gegenüber begegne. Da sind wir als Kirche ein wichtiger Ort, um ins Gespräch zu kommen, sich eine Meinung zu bilden und die auch zu vertreten.
Gibt es etwas, dass Sie bei allen schwierigen Weltlagen derzeit auch Hoffnung schöpfen lässt?
Paul: Ja, den ersten Moment hatte ich schon beim gemeinsamen Blick auf und Diskutieren über die Wahlergebnisse: das Nicht-Allein-Sein, sondern die Gespräche und den Austausch darüber. Das ist schon ein erster Schritt, handlungsfähig zu werden.
Sinnemann: Ich fand es bewegend zu sehen, dass es den Menschen nicht egal ist, was am anderen Ende der Welt passiert. Und ich glaube fest, dass Kirche und Glaube immer Positives beitragen können. Einerseits mit der Botschaft der Hoffnung und zweitens mit der Demut, dass wir eben nicht alles wissen und nicht alles können, sondern immer auch im Vertrauen auf Gott denken und handeln.