Jederzeit Hoffnungstragende – die ehrenamtliche Gottesdienstarbeit blüht

Seit 70 Jahren gibt es die Ausbildung für ehrenamtliche Helfende in Gottesdiensten: sie gestalten ihn aktiv mit, suchen Lieder aus, predigen und sind so Gesichter der Kirche.
Zwei Menschen sitzen nebeneinander, man sieht aufgeschlagene Bibeln auf ihren Schößen, bei denen einzelnen Passagen farbig markiert sind.
Bild: Tima Miroshnichenko / pexels
Eine weiblich gelesene Person mit kurzen Haaren und Brille in hellblauer Bluse und dunkelblauem Blazer schaut freundlich in die Kamera.
Bild: Jens Schulze
Vera Christina Pabst ist die landeskirchliche Beauftragte für die Lektoren- und Prädikantenarbeit.

Frau Pabst, mit 70 ist ein Mensch kein junger Hüpfer mehr, eher schon lebenserfahren. Wie geht es dem Lektoren- und Prädikantendienst in diesem Alter?

Vera Christina Pabst: Wenn Sie so wollen, ist er ein quicklebendiger Senior. Die Anmeldezahlen zu den Kursen steigen, wir haben in den Lektorenkursen das Vor-Corona-Level sogar überholt. Aktuell haben wir rund 2.000 ausgebildete Personen, das ist deutlich mehr als vor zwanzig Jahren – trotz sinkender Mitgliedszahlen in der Kirche insgesamt. Personell sind wir so gut aufgestellt wie noch nie, weil nun jeder Sprengel eine halbe Stelle zur Förderung der Lektoren- und Prädikantenarbeit zur Verfügung hat – dank der Überzeugung auf Leitungsebene, dass es eine starke ehrenamtliche Verkündigung braucht. Das ist großartig.

Die ehrenamtliche Mitarbeit in Gottesdiensten ist ja aber durchaus älter als 70 Jahre; schon in den ersten Gemeinden gab es sie. Wie sind Sie auf den „Geburtstag“ vor 70 Jahren gekommen?

Pabst: Pastor Joachim Behrens schrieb im März 1954 an seine Amtsbrüder, dass er sich um eine geregelte Ausbildung der Ehrenamtlichen bemühen wolle. In der Folge wurde sie durch ihn maßgeblich aufgebaut. Behrens hatte seine schlesische Herkunftskirche vor Augen, in der die Pastoren ständig in Gefahr waren, verfolgt und festgenommen zu werden. Sie ließen ihre Predigten und fertigen Dokumente offen auf ihrem Schreibtisch liegen, damit im schlimmsten Fall Ehrenamtliche schnelle einspringen und die Gottesdienste übernehmen konnten. Und in einigen Gemeinden unserer Landeskirche gab es die Erfahrung mit ehrenamtlicher Verkündigung während des Zweiten Weltkriegs.

Wie hat sich die Ausbildung seitdem verändert – oder ist immer noch alles wie früher?

Pabst: Die Absicht und das Wesentliche der Ausbildung sind tatsächlich dasselbe wie schon 1954: Gottesdienste zu beleben, neue Perspektiven einzubringen und dort, wo Menschen sind, zusammenzukommen gemeinsam zu feiern. Doch es gibt natürlich auch neuere Entwicklungen: Wir starten jetzt zum Beispiel die zweite Runde eines Interkulturellen Lektorenkurses. Das finde ich einen sehr wichtigen Ansatz, um anschlussfähig zu sein für die vielen Menschen, die von anderswo zu uns kommen, für binationale Familien. Umgangssprachlich ausgedrückt: Wir sehen sie in der U-Bahn, aber wo sind sie im Gottesdienst? Unterschiedliche Impulse aufzunehmen, macht einen Gottesdienst doch auch spannender und interessanter für viele. Generell versuchen wir den Kursteilnehmenden immer zu vermitteln: Schaut, in welche Situation ihr in der Gemeinde kommt, was zu den Menschen dort passt und probiert gegebenenfalls auch neue Formen aus.

Blick in eine große Kirche, in den Bänken sieht man von hinten Leute sitzen.
Bild: Vera Christina Pabst
Mit einem Workshop-Wochenende, bei dem es viel Austausch und Begegnung gab, beging der Lektoren- und Prädikantendienst sein Jubiläum.

Was kann das sein?
Pabst:
„Angefangen bei der Gottesansprache: die ausschließliche, traditionelle Rede von „Herr“ oder „Vater“ kann Menschen mit ihren Erfahrungen ausschließen oder sogar verletzen. Gerade die Hebräische Bibel kennt ja auch eine Vielzahl von Namen oder Zuschreibungen, zum Beispiel, „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Im Zeitalter von Social Media besonders beliebt. Diese Gottesbilder gilt es wieder zu entdecken, um so die Zuwendung Gottes neu zum Ausdruck zu bringen. Im Interkulturellen Lektorenkurs haben wir Lesungen auch pantomimisch dargestellt oder mit Gegenständen symbolisiert, sodass das Gesagte nochmal anders wahrnehmbar war. Im Prädikantenkurs erarbeiten wir auch Themenpredigten. Oder die Auswahl der Lieder. Vereinfacht gesagt: Es kann, aber es muss nicht immer Paul Gerhard sein, vielleicht spricht etwas anderes die Gemeinde viel mehr an.“

Vielerorten geht ehrenamtliches Engagement zurück, die Menschen scheinen weniger Zeit in Vereinen, Verbänden oder eben der Kirche verbringen zu wollen. Und einen Gottesdienst vorzubereiten, ist ja nicht mal eben gemacht. Was motiviert die Lektorinnen und Lektoren, Prädikantinnen und Prädikanten?
Pabst:
„Das ist richtig, sich mit der Predigt auseinanderzusetzen, ob selbst geschrieben oder als Lesepredigt angeeignet, bis zum Vortragen, der Liedauswahl und weiteren Abstimmung mit anderen Beteiligten braucht man schnell zehn Stunden. Aber unsere Ehrenamtlichen wollen Verantwortung tragen und sich mit ihrem Glauben beschäftigen. Das hat auch eine Sozialwissenschaftliche Studie gezeigt: Wenn sie für sich etwas lernen können, sind sie gern dabei. Sie sind Teil des „neuen qualifizierten Ehrenamts“. So werden sie übrigens auch zu Gesichtern der Kirche – Leute, die man eben mal kurz etwas fragen kann, wenn man sich nicht traut, den „Herrn Pastor“ anzusprechen oder die Gemeindepastorin gar nicht kennt. Unsere Ehrenamtlichen sind Brückenbauer in die Gesellschaft, Ansprechpartnerinnen von nebenan. Deshalb üben wir gemeinsam, Glaubensfragen in den Alltag zu übersetzen.“

Dabei bekommt man heutzutage durchaus abfällige Blicke oder Beleidigungen zu hören, wenn man zur Kirche gehört. Bereiten sie die Ehrenamtlichen darauf vor, dass sie angefeindet werden könnten?
Pabst:
„Ja, natürlich, wir diskutieren auch, wie man mit Spott oder verbalen Angriffen umgeht. Da ist es gut, dass die Ehrenamtlichen ihre Erfahrungen im vertrauten Kreis eines Kurses miteinander teilen. Sprachfähiger für den Glauben zu werden und jederzeit als Hoffnungsträger bereit zu sein, verstehe ich als Kernanliegen der Christenheit in 2024 – für Berufliche wie Ehrenamtliche.“

Christine Warnecke / EMA