„Wir wurden als Verräterkinder beschimpft“

Evangelische Kirche in Lüneburg erinnert an das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944
Eine ältere, als Frau lesbare Person im grünen Blümchenpullover sitzt in einem Wohnzimmer.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz

Am 20. Juli, dem Tag des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, gedenken Regionalbischöfin Marianne Gorka und zahlreiche Pastorinnen und Pastoren des Kirchenbezirks (Sprengel) Lüneburg der Widerstandskämpfer, die vor 80 Jahren ein Attentat auf Adolf Hitler verübten.

Lüneburg. Die Evangelische Kirche in Lüneburg erinnert an den 20. Juli 1944. Regionalbischöfin Gorka betont die Bedeutung dieses Tages: „80 Jahre nach dem Attentat auf Hitler ist Widerstand ein großes Thema. Heute erinnern uns die Kinder des 20. Juli an diesen Tag. Sie wurden als Verräterkinder bezeichnet und viele von ihnen wurden durch dieses Ereignis ihr Leben lang gezeichnet und waren traumatisiert. Ihre Berichte und Erinnerungen an ihre Väter sind ein mahnendes Vermächtnis.“

Nach dem Krieg wurden die Kinder der Widerstandskämpfer oft als „Verräterkinder“ beschimpft. Dies führte zur Ausgrenzung und Stigmatisierung der Familien der Widerstandskämpfer. Ein solches „Verräterkind“ war auch die ehrenamtliche Lüneburger Pastorin Ellen Ringshausen, Tochter des Widerstandskämpfers Hans-Alexander von Voß. Sie war erst sechs Jahre alt, als ihr Vater sich das Leben nahm, um unter der Folter nicht die Namen seiner Mitverschwörer preiszugeben. Erst im Teenageralter erfuhr sie von der wahren Rolle ihres Vaters im Widerstand. „Ich wusste lange nicht, dass und warum er sich das Leben genommen hatte“, berichtet sie.

Die Stigmatisierung der Familien der Attentäter als „Verräter“ führte zu massiven Benachteiligungen. So erhielten etwa die Mütter der Kinder von Widerstandskämpfern keine Witwen- und die Kinder keine Waisenrente, bis in die 1950er- und 1960er-Jahre musste jede Familie um ihr Recht kämpfen. Die Ausgrenzung und der Schmerz wurden durch das Schweigen in den Familien noch verstärkt. „Man durfte keine Fragen stellen und die Mütter oder Großmütter konnten nicht erzählen, weil sie traumatisiert waren“, erinnert sich Ringshausen. Der Krieg und die Unsicherheit prägten ihre Jugend, doch sie fand Trost im christlichen Glauben und in der Seelsorgearbeit.

„Widerstand ist auch heute ein großes Thema“

Eine als Frau lesbare Person steht auf einer Wiese vor einer Kirche.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz
Die Lüneburger Regionalbischöfin Marianne Gorka.

Regionalbischöfin Gorka weist auf die aktuelle Bedeutung des Jahrestags des 20. Juli hin: „Widerstand ist auch heute ein großes Thema. Ein wichtiger Tag auch für uns, für unsere Geschichte. Denn wie viele von uns machen sich wie die Kinder des 20. Juli große Sorgen um das, was aktuell bei uns in der Gesellschaft oder in Ländern um uns herum passiert. Wo heute Unrecht geschieht und die Demokratie gefährdet ist. Wo der Rechtsextremismus wieder stark wird.“

Um an das gescheiterte Hitlerattentat und die vielen Widerstandskämpfer zu erinnern, hat Marianne Gorka eine Andacht sowie ein Fürbittengebet verfasst, die sie an mehr als 500 Pastorinnen und Pastoren sowie Prädikant:innen und Lektor:innen im gesamten Sprengel Lüneburg versandt hat. Diese wurden dazu angeregt, den Gedenktag in ihren Predigten am Sonntag, den 21. Juli zu erwähnen. In einem Video-Statement betont die Regionalbischöfin: „Der Tag und die Erinnerung daran sind ein wichtiges Vermächtnis für uns. Der 20. Juli geht uns alle an!“

Eine als Frau lesbare Person steht auf einer Wiese vor einer Kirche.
Bild: Anne-Katrin Schwanitz
Die Lüneburger Regionalbischöfin Marianne Gorka.
Anne-Katrin Schwanitz