Salziges Fischgebäck statt Rosenblättern auf der Urne

Pastorin Anja Bremer über neue Wege der Trauerbegleitung und Bestattungskultur
Eine als Frau lesbare Person lehnt an einer Hauswand.
Bild: Susann Grünert

Anja Bremer hat selbst bittere Erfahrungen mit Krankheit und Tod sammeln müssen. Als Pastorin will sie Trauernden helfen, ihren ganz eigenen Umgang mit Schmerz und Verlust zu finden.

Zur Person
Anja Bremer ist gebürtige Niedersächsin, Diplom-Religionspädagogin, hat in der Erwachsenenbildung und Öffentlichkeitsarbeit und in der Klinikseelsorge gearbeitet. Mit Anfang 40 legte die 49-Jährige den Master in evangelischer Theologie ab und wirkte in Gemeinden im Breisgau und am Kaiserstuhl. Ab dem 1. Juli arbeitet sie mit einer halben Stelle als Theologische Referentin im Arbeitsbereich Gottesdienst und Kirchenmusik des Michaelisklosters Hildesheim und mit der anderen halben Stelle als Leiterin der Kasualagentur des Kirchenkreises Hannover. Auf Instagram ist sie mit ihren Trauer-Miniaturen als @habseligkeitenhochdrei und immer wieder freitags bei @seelenpommes zu finden.

Pastorin Anja Bremer wird zum 1. Juli Teil des Teams im Michaeliskloster Hildesheim. Mit einer halben Stelle arbeitet sie als Theologische Referentin im Arbeitsbereich Gottesdienst und Kirchenmusik und mit der anderen halben Stelle als Leiterin der Kasualagentur des Kirchenkreises Hannover (ehemals Stadtkirchenverband).

Frau Bremer, welchen Stellenwert haben Beerdigungen in Ihrem Alltag als Pastorin?

Anja Bremer: Meine bisherige Gemeinde in Baden-Württemberg liegt in einem Neubaugebiet und es gab erfreulich viele Taufen. Dennoch sind Bestattungen sehr häufig, zwischen 35 und 40 hatten wir pro Jahr.

Wie lernt man das überhaupt: einen Menschen zu beerdigen?

Bremer: Natürlich ist das Teil der Ausbildung. Dennoch war es für mich persönlich lange Zeit undenkbar, ich habe mir das schlicht nicht zugetraut. Dann ist mein Bruder mit 32 gestorben, mein Vater mit 56. Ich hatte mit 29 Jahren selbst einen Hirntumor und feiere deshalb jedes Jahr einen zweiten Geburtstag. Nach diesen Erfahrungen hatte ich das Gefühl, die Erwartungen, die Menschen in einer solchen Extremsituation haben, zu ahnen.

Auf Facebook und Instagram veröffentlichen Sie Kurz-Predigten, die liebevoll und anekdotisch über Verstorbene erzählen. Über das Leben sprechen, obwohl es eigentlich ums Sterben geht – ist das Ihr Konzept?

Bremer: Ganz bestimmt. Es geht doch vor allem um Würdigung von Leben. Wie das Ende war – klar rede ich darüber. Und auch über das, was danach kommt. Aber was aus dem Leben herausleuchtet, das sollte doch vor allem das Thema sein. Jedes Leben braucht auch einen anderen Trost. Und ich versuche, das alles in ein Licht zu stellen, das von Gott her kommt. Nicht hochstilisiert, sondern einfach und berührend. Dann kann es hoffentlich auch tröstend sein.

Zur Person
Anja Bremer ist gebürtige Niedersächsin, Diplom-Religionspädagogin, hat in der Erwachsenenbildung und Öffentlichkeitsarbeit und in der Klinikseelsorge gearbeitet. Mit Anfang 40 legte die 49-Jährige den Master in evangelischer Theologie ab und wirkte in Gemeinden im Breisgau und am Kaiserstuhl. Ab dem 1. Juli arbeitet sie mit einer halben Stelle als Theologische Referentin im Arbeitsbereich Gottesdienst und Kirchenmusik des Michaelisklosters Hildesheim und mit der anderen halben Stelle als Leiterin der Kasualagentur des Kirchenkreises Hannover. Auf Instagram ist sie mit ihren Trauer-Miniaturen als @habseligkeitenhochdrei und immer wieder freitags bei @seelenpommes zu finden.

Was brauchen Trauernde aus Ihrer Sicht vor allem?

Bremer: Sie brauchen ein ganz großes Pfund Empathie. Ich versuche im Trauergespräch, ganz bewusst in die Schuhe dieser Menschen zu steigen. Es geht um beides: die Würdigung der verstorbenen Person und die seelsorgerliche Begleitung der Trauernden. Jedes Sterben ist genau wie jedes Leben total unterschiedlich. Ich lasse mich immer wieder völlig neu darauf ein und lerne auch immer wieder dazu. Am Ende werde ich vielmehr selbst beschenkt mit Leben und Erfahrung. Einmal haben wir bei der Trauerfeier für einen Angler sehr laut „How much is the fish“ gehört, weil der Verstorbene das Lied eben mochte. Und dazu haben wir auf die Urne diese salzigen „Fischlis“ anstelle von Rosenblättern gestreut. Das passte viel besser zu der Person, um die es ging. Wenn das für alle stimmig ist, warum denn nicht?

Fischlis auf der Urne – wie kommen Sie auf solch ungewöhnliche Ideen?

Bremer: Ein bisschen auf die Situation vertrauen, ein bisschen den Menschen zuhören – dann gelingt so vieles. Ganz viele Zugehörige haben gar keine Idee und sind völlig überfordert mit der Situation. Dann versuche ich herauszufinden, ob es vielleicht ein Motiv gibt, das sie noch einmal berührt. Das kann alles Mögliche sein. Einmal waren die Kinder noch ganz schockiert und konnten nur wenig von der Verstorbenen erzählen. Aber mir blieb hängen, dass sie eine große Streuselkuchen-Bäckerin war. Da habe ich mich abends hingestellt und gebacken, kleine Päckchen mit Kuchen vorbereitet und nach der Beisetzung verteilt. Vorher habe ich darüber gesprochen, woraus Streusel bestehen. Und was Zucker, Butter und Mehl im Leben sein können. Dann haben wir alle den letzten Gruß der Mutter am Grab zu uns genommen. Und diese Familie, die vorher nicht weinen konnte, war aufgelöst und angerührt. Ich finde das so wichtig, berührt zu werden.

Diamantringe aus der Asche, ein Baum, der mit Asche angereichert im eigenen Garten wächst – solche Angebote finden nicht alle Menschen gut. Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, das man Trauernden versagen sollte?

Bremer: Also spontan fiele mir da nichts ein. Ich suche mit den Trauernden gemeinsam, was für sie hilfreich sein könnte. Abschied nehmen und getröstet werden ist extrem individuell. Und ich finde es wunderbar, wenn jemand selbst mit Ideen und Bedürfnissen kommt. Manchmal merke ich auch, dass in der Vielfalt der Wünsche ein bisschen Verlorenheit steckt. Aber anfangs würde ich immer denken: Alles geht. Wer bin ich denn, jemandem etwas zu versagen? Ich versuche, nachzuvollziehen und natürlich auch den kirchlichen Ritus zu erklären. Aber es muss doch meine Aufgabe sein, den Menschen das zu geben, was sie brauchen – und dann wird es groß und Gott ist mit dabei.

„Es muss doch meine Aufgabe sein, den Menschen das zu geben, was sie brauchen – und dann wird es groß und Gott ist mit dabei.“
Pastorin Anja Bremer

Ab diesem Sommer arbeiten Sie im Hildesheimer Michaeliskloster, dem Zentrum für Gottesdienst und Kirchenmusik. Sie werden dann für die ganze Landeskirche Austausch und Fortbildung auch zu Beerdigungen vorantreiben. Warum ist das aus Ihrer Sicht wichtig?

Bremer: Laut einer aktuellen Befragung gehen 89 Prozent der Menschen in Deutschland einmal im Jahr in einen Gottesdienst, und dann feiern sie meist eine Taufe, Hochzeit oder eben Beerdigung. Dann ist es doch umso wichtiger, dass wir diese lebensnah vollziehen und eher nicht nur von der Tradition her denken. Schließlich sind wir als Kirche ein Anbieter unter vielen auf einem großen Markt. Und wir möchten doch gern den Segen unter die Menschen bringen. Der ist übrigens nicht abhängig von der Mitgliedschaft. Dass die wichtig ist für den Fortbestand der Kirche, weiß ich. Aber ich nehme auch Anfragen an, wenn Menschen nicht mehr in der Kirche sind. Ich erbitte dann eine Spende für die Gemeinde. Das ist meist auch in Ordnung. Es tut vielen Menschen schon einmal gut, wenn ich erst einmal gar nicht besonders kirchlich wirke.

Sterben werden wir alle. Wie können wir lernen, das Leben mehr vom Ende her zu denken?

Bremer: Ich weiß gar nicht, ob es das braucht. Klar: Wir wissen letztlich alle wenig über Sterben und Tod. Ich werde dieses Jahr 50 und erlebe das als große Herausforderung. Alles hat sich schon auch sehr verändert, vieles geht nicht mehr so gut wie früher. Was ich sagen will: Wir müssen alle mitten im Leben Abschied nehmen, und es wäre gut, wenn wir uns dem stellen und es zulassen würden. Abschiedlich leben lernen nenne ich das.

Alexander Nortrup / EMA