„Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ zählt heute immer noch

Gelbe Feuerwehrjacken hängen in einer Reihe in einem Schrank.
Bild: Feuerwehrverband Hannover
Ein Mann mit dunklen kurzen Haaren und Brille steht in Feuerwehr-Uniform vor einem Rednerpult.
Bild: Feuerwehrverband Hannover
Benjamin Moß ist Feuerwehrmann und Leiter des Brandschutzabschnitts III, zu dem Springe, Hemmingen, Pattensen und Laatzen zählen.

Herr Moß, Gewalt gegen Polizeibeamte und Feuerwehrhelfer im Einsatz gilt als besonders perfide und nimmt aber augenscheinlich immer weiter zu. Haben Sie eine Idee, warum Menschen an Einsatzorten so aggressiv werden, mit Angriffen drohen oder verbale Gewalt ausgeübt wird?

Moß: Ich denke, die eine Erklärung dafür gibt es nicht. Es ist vielmehr ein Zusammenspiel von immer ausgeprägterem Egoismus in der Gesellschaft, falschen Wertvorstellungen und dem Transport von Hassbotschaften über die sozialen Netzwerke und Medien.

Zudem scheint es, dass Jugendliche – so zumindest in Bezug auf die Silvesternacht und Halloween - einem regelrechten Hype in den sozialen Medien folgen. Gerade Angriffe größerer Personengruppen unterliegen oftmals einer Gruppendynamik, die Hemmschwelle wird durch Alkohol und auch Betäubungsmittel in solchen Eventnächten und Wochenenden zusätzlich herabgesetzt.

Wie sehr überrascht Sie die Massivität der Angriffe?

Moß: Nach den aktuellen Ereignissen nicht mehr so sehr. Denn ein unfassbares Ereignis schlägt leider das Nächste. Der gezielte Angriff mit Steinen und Eisenstangen erreicht jedoch sicherlich eine neue Qualität. Hier muss nun durch strafrechtliche Verfolgung und eine zeitnahe Verurteilung der Täter unbedingt ein Riegel vorgeschoben werden.

Bisher lautete die goldene Regel: Feuerwehrleute und Rettungsdienste verdienen Respekt und Anerkennung. Werden durch die Bedrohungen und Verletzungen das gesellschaftliche Klima und der Zusammenhalt beschädigt? Wie erklären Sie sich diese Entwicklungen und was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern oder aber unternommen werden, um Gewalt gegen Helfer in Unifom zu verhindern?

Moß: Natürlich werden durch solche Angriffe die Helferinnen und Helfer beeinflusst. Wer Gewalt in dieser Form erlebt hat, muss erstmal damit umgehen lernen und die Angst vor einem möglichen nächsten Angriff besiegen. Egal ob hauptberuflich oder ehrenamtlich, Helfer sind wichtig und unersetzbar für unsere Gesellschaft - das dürfen uns solche Taten nicht kaputt machen. In den Augen der Täter scheinen nunmehr auch die Feuerwehr und Rettungskräfte den Staat zu repräsentieren. Es gibt zunehmend einen Tabubruch. Wir erwarten hier einerseits entsprechendes Handeln seitens der Strafverfolgungsbehörden. Aber auch gesellschaftlich muss das Thema „Angriff auf Rettungskräfte“ und die Bedeutung des Ehrenamtes in die frühe kindliche Erziehung mitaufgenommen werden.

Szene einer Auseiandersetzung zwischen zwei Feuerwehrleuten und einem Passanten.
Bild: Feuerwehrverband Hannover
Immer häufiger erleben Feuerwehrleute bei Einsätzen gewalttätige Übergriffe.

Der Kirchliche Dienst stellt der Polizei Seelsorger an die Seite, Feuerwehrseelsorger werden zumeist aus den Kirchengemeinden entsandt. Gibt es „klassische“ Auslöser, die die Beamten oder freiwilligen Helfer vor psychische Herausforderungen stellen?

Moß: Nach Einsätzen wie schweren Verkehrsunfällen oder Hilfeleistungen, vor allem wenn Kinder beteiligt sind, sowie Suizid hat sich die Seelsorge bewährt. Hier sind wir als Gesellschaft zum Glück besser geworden, es ist kein Tabu-Thema mehr, sich Hilfe zu holen. Wir sind alle Menschen und müssen mit dem Erlebten oder Gesehenen weiter unseren Alltag bestreiten können. Ein Gespräch über das Erlebte kann auch nach gewalttätigen Angriffen dazu beitragen, alles besser zu verarbeiten. Dies lege ich unseren Einsatzkräften auch immer wieder ans Herz. Neu für den Bereich der Helfenden sowie für die Seelsorge dürfte sein, dass das Themenfeld „Helfer als Opfer einer Straftat“ nunmehr an Bedeutung gewinnt. Hier gilt es, das Portfolio der Notfallseelsorge entsprechend zu erweitern. 

Die evangelischen Seelsorger bieten Rat, Unterstützung und Begleitung vor dem Hintergrund ihres Glaubens. Welche Rolle spielt gerade mit Blick auf die außergewöhnlichen Belastungen denn der Glaube für die hilfesuchenden Feuerwehrleute?

Moß: Ich bemerke immer häufiger, dass die Helferinnen und Helfer in schweren Situationen ihren Glauben wiederfinden. Unser Leitspruch „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“ zählt nach wie vor. Unter den Einsatzkräften befindet sich glücklicherweise eine zunehmende Anzahl von Helfenden mit Migrationshintergrund und einem islamischen Glauben. Hier gilt es, beide Seiten dahingehend zu sensibilisieren, dass der Glaube - ganz gleich, ob christlich oder einer anderen Religion - eine mögliche Stütze und Hilfestellung bieten kann. Vor dem Hintergrund der interkulturellen Kompetenz muss bei Bedarf glaubensunabhängig seelsorgerische Hilfestellungen angeboten werden. Ich gehe jedoch fest davon aus, dass diese Kompetenz bei den evangelischen Seelsorgern vorhanden ist.

Tanja Niestroj