Interview mit Feuerwehrmann und Notfallseelsorger im Hochwassergebiet

Marcus Droste, Feuerwehrmann und Notfallseelsorger, berichtet über die Lage für die Einsatzkräfte im Hochwassergebiet Salzbergen.
Mehrere Personen mit Feuerwehrjacken sitzen in einem Boot, einer steht draußen im Wasser. Es hat eine Straße überflutet - ein Leitpfosten ragt nur noch ein Stück aus dem Wasser.
Ein Mann mit Halbglatze, kurzem Kinnbart und Brille lächelt verhalten.
Marcus Droste ist evangelisch-lutherischer Pastor in den pfarramtlich verbundenen Kirchengemeinden Emsbüren-Salzbergen, Bad Bentheim, Schüttorf und Spelle. Außerdem ist er Beauftragter für Notfallseelsorge im Sprengel Ostfriesland-Ems, Leiter der Ökumenischen Notfallseelsorge Emsland-Süd und als aktiver Feuerwehrmann in Salzbergen regelmäßig im Einsatz.

Herr Droste, seit kurz vor Weihnachten hält das Hochwasser auch das Emsland in Atem. Vielerorts sind kritische Wasserstände erreicht, für die Feuerwehren gibt es immer noch alle Hände voll zu tun. Wie waren Ihre Eindrücke der Hochwasserkatastrophe und wie sieht Ihre Arbeit hier aus – als Feuerwehrmann und als Notfallseelsorger? 
Droste: Hier in Salzbergen haben sich die steigenden Wasserstände der Ems, aber auch der anhaltende Starkregen selbst zunächst durch überflutete Keller bemerkbar gemacht. In den Gottesdiensten an Heiligabend berichteten viele Gottesdienstbesucher davon, dass sie mit Wasser im Keller zu kämpfen hatten. Vielfach musste die Freiwillige Feuerwehr beim Abpumpen unterstützen. Der Melder, der uns Feuerwehrleute zu Einsätzen ruft, löste in der letzten Zeit also deutlich häufiger aus als üblich. Der stetig ansteigende Pegel der Ems führte dann dazu, dass Straßen überflutet wurden und einige Häuser dadurch nicht mehr erreichbar waren. Die Feuerwehrführung und die Gemeindeverwaltung kontrollierten mehrmals täglich die Lage. Aufgabe der Feuerwehr war es dann zunächst Sandsäcke zu füllen und vorzuhalten und auch wichtige Teile der Infrastruktur etwa Transformatoren vor Überflutung zu schützen. Die Notfallseelsorge wurde in meinem Einsatzbereich nicht angefordert.

Weihnachten mit der Familie unter dem Tannenbaum musste in den von Hochwasser betroffenen Regionen für viele Helferinnen und Helfer ausfallen. Wie haben Sie die Feiertage verbracht?
Droste: 
An Heiligabend gab es einen Voralarm der Kreisfeuerwehrbereitschaft. Alle verfügbaren Einsatzkräfte waren aufgefordert, sich im Feuerwehrhaus einzufinden. Zu diesem Zeitpunkt war ich aber bereits unterwegs und hatte gerade den ersten meiner fünf Heiligabend-Gottesdienste beendet. Am ersten Weihnachtstag blieb es tagsüber ruhig. Ich hielt vormittags einen Gottesdienst in Salzbergen und machte am Nachmittag einen Geburtstagsbesuch. Auf der Rückfahrt am frühen Abend rief der Melder die Feuerwehrleute erneut zusammen, so dass ich einen sehr ungewöhnlichen Weihnachtsabend verbrachte: Sandsäcke füllen und einige davon verbauen, um Gebäude zu schützen. Das „Weihnachtsessen“ bestand dann aus Familienpizzen im Feuerwehrhaus. Bei der gemeinsamen Arbeit im Einsatz, wie auch beim gemeinsamen Essen war die Atmosphäre ausgesprochen gut. Zwar wurde schon erzählt, dass es zu Hause nun Braten oder Rouladen gegeben hätte, aber da war niemand, der sich ernstlich beklagte. Anderen helfen zu können, ist schon ein gutes Gefühl. Am zweiten Weihnachtstag wurden einige Einwohner Salzbergens durch die Feuerwehr mit einem Boot aus ihren durch das Wasser eingeschlossenen Häusern evakuiert. Da war ich aber wegen des Gottesdienstes nicht dabei. Auch in den Folgetagen gab es immer wieder Einsätze. Seit dem 29. Dezember entspannt sich die Situation in Salzbergen aber deutlich.

Häuser, Bäume und Hecken stehen im Wasser.
Bild: Freiwillige Feuerwehr Salzbergen
Das Hochwasser überflutete auch große Teile des Emslands.

Auch wenn Sie in diesen Tagen offiziell nicht als Notfallseelsorger vor Ort sind: Reden ist wichtig. Etliche Menschen mussten aus ihren Häusern evakuiert werden, die Keller sind vollgelaufen, ganze Straßenzüge abgesperrt. Die Betroffenen plagen große Sorgen, sie haben viele Fragen. Wo kommen wir unter? Wann können wir zurück in unsere Häuser und wer kommt für die Schäden auf? Was sagen Sie den Menschen in der Situation? 
Droste: In der akuten Situation, etwa einer Evakuierung, standen die praktischen Fragen im Vordergrund. Ich habe eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen untereinander wahrgenommen. Viele Betroffene hatten mehrere Angebote von Freunden, Bekannten und Verwandten bei ihnen unterzukommen. Auch die Verwaltungen der politischen Gemeinden waren sehr hilfreich bei der Vermittlung von Unterkünften. 
In der Seelsorge wie ich sie verstehe, geht es nicht darum, jemandem zu sagen, was er konkret tun soll. Wichtiger ist es, dabei zu helfen, die Kräfte zu stärken, die in meinem Gegenüber stecken, aber durch eine belastende Situation im Moment nicht ohne weiteres zugänglich sind. Dabei ist gutes Zuhören und Zugewandtheit sehr wichtig.

Etwa zwei Dutzend Feuerwehrmänner stehen an Tischen oder neben einem Container voll Sand und füllen Sandsäcke.
Bild: Feuerwehr Salzbergen
Die Feuerwehr Salzbergen beim Sandsäcke-Packen.

Als Notfallseelsorger können Sie vor allem gut zuhören. Im Einsatz als Feuerwehrmann steht die Menschenrettung an erster Stelle. Können Sie Ihre Jobs im Einsatz klar trennen? Vielleicht wollen die Menschen in ihrer Notlage ja einfach mal in den Arm genommen werden oder wünschen sich seelischen Beistand. 
Droste: In erster Linie sind und bleiben wir Menschen, unabhängig davon, ob wir gerade eine Feuerwehreinsatzjacke, eine Notfallseelsorgeweste, einen Talar oder Zivilkleidung tragen. Und so versuchen meine Feuerwehrkameraden und ich immer das zu tun, was nötig ist. Grundsätzlich gibt es aber klare Strukturen. Wenn ich als Feuerwehrmann eingesetzt bin, erfülle ich meine Aufgabe als Feuerwehrmann. Wenn ich dann den Eindruck habe, dass Notfallseelsorge erforderlich ist, bespreche ich mit dem Einsatzleiter, was zu tun ist. Sollten genügend Feuerwehrkräfte vor Ort sein, kann ich die Aufgabe übernehmen – und mache das deutlich, in dem ich eine lila Kennzeichnungsweste überziehe. Werde ich hingegen weiter als Feuerwehrmann gebraucht, wird die Notfallseelsorge durch die Leitstelle alarmiert. 

Finden die Emsländer gerade jetzt in den Gottesdiensten Trost? Oder haben Sie den Gottesdienst zum Anlass genommen, um die Leistung der zahlreichen Helferinnen und Helfer zu würdigen?
Droste:
Es waren schon Menschen, die vom Hochwasser betroffen waren, im Gottesdienst und in Gemeindeveranstaltungen, wie dem Bibelkreis. Und natürlich berichteten sie von dem, was sie erlebt haben, auch von dem, was sie beschäftigt und belastet. Der Austausch mit anderen, aber auch das Erleben von Normalität nach einer so unnormalen Erfahrung wie einer Evakuierung sind sehr wichtig. 

Im Gottesdienst am zweiten Weihnachtstag hörten wir das Martinshorn eines Einsatzfahrzeugs in der Nähe der Kirche, da haben wir ein spontanes Gebet für die Rettungskräfte und die Hilfsbedürftigen eingeschoben. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Dass die Kirchen nun voll sind von trostsuchenden Menschen, können wir nicht beobachten. Wir feiern regelmäßig zusammen mit den katholischen Kirchengemeinden in Emsbüren einen ökumenischen Blaulichtgottesdienst zu dem wir die Mitglieder der Feuerwehr, des DRK, der DLRG, des THW, der Rettungshundestaffel und der Polizei einladen, um ihnen für ihren gesellschaftlich so wichtigen Einsatz zu danken. Ob es einen speziellen Gottesdienst für Hochwasserhelfende geben könnte, sollte meines Erachtens erst dann überlegt werden, wenn die Hochwassersituation vollständig überstanden ist.

Ein Einsatzwagen einer Feuerwehr steht im Wasser, das einen Weg über- und Bäume umspült.
Bild: Freiwillige Feuerwehr Salzbergen
Der stetig ansteigende Pegel der Ems führte dann dazu, dass Straßen überflutet wurden und einige Häuser dadurch nicht mehr erreichbar waren.

Normalerweise wird die Feuerwehr gerufen, um bei Feuerkatastrophen oder Verkehrsunfällen Menschenleben zu retten. Ist die Freiwillige Feuerwehr auf die Gefahren im Hochwassereinsatz eigentlich gut vorbereitet?
Droste: Die Aufgaben der Feuerwehr sind vielfältiger als der Name vermuten lässt. Um die unterschiedlichen Aufgaben bewältigen zu können, werden die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren in unserem Land umfangreich ausgebildet und regelmäßig weiter geschult. Lehrgänge auf Kreis- und Landesebene tragen dazu bei und für den Landkreis Emsland kann ich sagen, dass die Lehrgangsarbeit sehr gut aufgestellt ist. In unserer Ortsfeuerwehr konnten wir ganz aktuell auf Kameraden bauen, die in der  Hochwasserbekämpfung speziell geschult waren. Zudem verfügten wir über viele Einsatzkräfte mit einschlägigen praktischen Erfahrungen. Ich selbst war zum Beispiel 2002 eine ganze Woche mit einer Feuerwehr-Kreisbereitschaft im Hochwassereinsatz an der Elbe, so dass ich an Weihnachten keineswegs zum ersten Mal einen Sandsack in der Hand hatte.

Tanja Niestroj