Mobile Zahnarztpraxis behandelt obdachlose Menschen
Hannover. Zahnarzthelferin Angela McLeod (60) wischt mit Desinfektionstüchern über den Behandlungsstuhl und legt frische Instrumente auf das Tablett. Auf den ersten Blick unterscheidet sich ihr Arbeitsplatz in nichts von einem Behandlungsraum in einer gewöhnlichen Zahnarztpraxis. Doch dieser Raum befindet sich heute mitten auf dem Raschplatz hinter Hannovers Hauptbahnhof, genauer: in einem Kleintransporter, der jede Woche mehrere Orte in der niedersächsischen Landeshauptstadt anfährt, um kostenlose zahnmedizinische Behandlungen anzubieten.
Das Angebot der Diakonie richtet sich in erster Linie an Menschen, die auf der Straße leben und nicht krankenversichert sind. Doch auch mit Krankenkasse-Karte stoßen Wohnungslose in Zahnarztpraxen oft auf Ablehnung. McLeod und ihre Mitarbeiter gehen deshalb auf die Menschen zu, indem sie sich selbst auf die Straße begeben. „Damit ist eine Schwelle weg, die sonst in einer Praxis immer vorhanden ist“, sagt McLeod. Schon seit zwölf Jahren - so lange, wie es das Angebot gibt - arbeitet sie in der rollenden Minipraxis. Zwei ehrenamtliche Kräfte, ein Fahrer und ein Zahnarzt, begleiten sie bei jedem Einsatz.
Das Zahnmobil, das auf die private Initiative der heute 91-jährigen Zahnärztin Ingeburg Mannherz und ihres Ehemanns Werner Mannherz zurückgeht, war bei seiner Gründung bundesweit eines der ersten zahnmedizinischen Angebote dieser Art. Seitdem wurden darin mehr als 5.000 Menschen behandelt. Die jährlichen Kosten von rund 80.000 Euro werden durch Spenden und Zuschüsse der Diakonie finanziert, wie Carsten Krüger vom Förderverein erläutert. Um das zuletzt sehr wartungsbedürftige alte Fahrzeug zu ersetzen, wurde im Sommer für 180.000 Euro ein neues Auto gekauft und eingerichtet.
Angela McLeod ist nicht nur die Seele des Mobils, als gute Seele empfinden sie auch viele der Patientinnen und Patienten. Denn sie fragt nach und hört zu, wenn die Menschen aus ihrem meist harten Leben auf der Straße erzählen. „Wir nehmen die Menschen hier, wie sie sind“, erzählt sie. „Ich streichle auch die Wange und nehme die Leute in den Arm.“
Mehr als 20 Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiten derzeit regelmäßig für das Mobil, einige nach Feierabend, aber auch viele Ruheständler. Einer von ihnen ist Mainolf Krillke (70) aus Werl bei Soest, der für die Einsätze regelmäßig nach Hannover pendelt. Im Zahnmobil gehe es vor allem darum, akute Schmerzen zu behandeln, also etwa Zähne zu ziehen und Löcher zu füllen, erläutert er.
Nur in Ausnahmefällen bieten Krillke und seine Kollegen auch Behandlungen jenseits der Basisversorgung an, wie etwa Wurzelbehandlungen oder Prothesen. Nachwuchsprobleme gebe es derzeit nicht, sagt er. Trotzdem hofft er, dass mehr junge Kolleginnen und Kollegen seinem Beispiel folgen und im Zahlmobil arbeiten. „Das tut einem sehr gut.“
Doch nicht nur Obdachlose nutzen das Angebot, sondern auch Bürger, die aufgrund unglücklicher Umstände jeden Versicherungsschutz verloren haben. Als Beispiel nennt Krillke etwa Architekten oder Malermeister, die als Selbstständige privat versichert waren und wegen Krankheit in die Insolvenz gegangen sind. Nach dem 55. Lebensjahr nehme sie die gesetzliche Krankenkasse oft nicht mehr auf. „Das ärgert mich. Da muss das Gesetz irgendwann mal geändert werden.“
Außerdem fährt die rollende Praxis seit 2022 immer wieder die Notunterkunft für Flüchtlinge auf dem Messegelände an. Die dort untergebrachten Geflüchteten, vor allem Ukrainer, haben zwar Anspruch auf Versorgung im regulären Gesundheitssystem. Eine ordentliche Anamnese scheitere aber oft an der Sprache, erläutert Carsten Krüger vom Förderverein. Viele Kollegen überfordere das.
Die Mitarbeiter des Zahnmobils hingegen haben über die Jahre gelernt, die Sprachbarriere zu überwinden, etwa indem sie digitale Übersetzungshilfen nutzen oder die Patienten bitten, einen Dolmetscher mitzubringen. Bis heute seien in dem Mobil Menschen aus hundert Nationen behandelt worden, sagt Krüger.
Angela McLeod hat im Zahnmobil insgesamt deutlich mehr Verantwortung, als sie als Zahnarzthelferin in einer regulären Praxis hätte, wie sie sagt. Dennoch kann sie sich derzeit keine schönere Tätigkeit vorstellen. „Das ist auch ein Herzensding.“ Viele Patienten kenne sie schon seit vielen Jahren. Auch von denen, die es geschafft haben, von der Straße wegzukommen, sehe sie einige wieder. „Die kommen trotzdem hierher und sagen: Es war toll, dass ihr da wart. Zum Beispiel, wenn wir eine Frontzahnfüllung gemacht haben, die für die Person superwichtig war.“