„Inklusion steht und fällt mit den Menschen vor Ort“

Elke Bode war 17 Jahre lang Diakonin für die Behindertenarbeit im Kirchenkreis Lüneburg und hatte damit eine Pionierstelle. Was hat sich getan, wie gelingt inklusiver Konfi-Unterricht?
Eine Frau mit grauen Haaren, Brille und dunklem Shirt lacht, den Kopf nach rechts gedreht. Sie steht vor grünen Hecken und einem Holzzaun.
Bild: Carolin George

Als Sie mit der Behindertenarbeit angefangen haben, hat es die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen noch gar nicht gegeben. Was hat sich verändert in all den Jahren? 
Elke Bode:
Zunächst: Aus dem Sonder-Konfirmandenunterricht für Jugendliche mit Behinderung ist eine inklusive Gruppe geworden. Das brauchte zwar einige Jahre Anlauf, hat dann aber funktioniert. Mittlerweile ist es bei uns selbstverständlich, dass zu einer schwerstnormalen Gruppe auch Jugendliche mit geistiger Behinderung gehören.

Gibt es da Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Behinderung? 
Bode: Auf jeden Fall! Sich auf körperlich behinderte Menschen einzustellen, war viel früher möglich. Das ging ruck-zuck, dann war eine Rampe zum Altar gebaut, damit unser erster Konfirmand im Rolli am Abendmahl teilnehmen konnte. Barrieren abzuschaffen ist bei körperlichen Beeinträchtigungen verhältnismäßig einfach. Es gibt Akustik-Schleifen für Hörgeschädigte, es gibt leichte Sprache, es gibt Piktogramme, es gibt entsprechend aufgebaute Webseiten. In Klammern: Auf der anderen Seite gibt es überall noch immer Barrieren, wenn jemand einfach nur im Rollstuhl sitzt.

Echte Barrieren oder auch welche im Kopf?
Bode:
Sowohl als auch. Eine Kollegin von mir wurde bei einem Kinobesuch einmal nicht als Betreuerin unserer Gruppe angesehen, bloß, weil sie im Rollstuhl sitzt. Da liegen dann die Behinderungen in den Köpfen der Schwerstnormalen. Die sehen eine körperliche Beeinträchtigung und denken die geistige gleich mit. Auch wenn es die gar nicht gibt.

Woran liegt das?
Bode:
Am fehlenden Zugang zu Menschen mit Behinderung. Je mehr Kontakt ich habe, desto selbstverständlicher wird er. Viele Menschen haben aber gar keine Berührungspunkte mit behinderten Menschen. Unsere Jugendlichen haben die häufig zum ersten Mal beim Konfer. Beispiel Gymnasium: Wo gibt es dort schon Inklusion?

Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit sich das ändert?
Bode: Es müsste ein komplettes Umdenken geben, um die Gesellschaft beziehungsfähig zu Menschen mit Behinderung zu machen. Es muss ganz normal sein, dass Menschen mit Behinderungen mit dabei sind, bei allem.

Von unten fotografiert_ Junge Menschen stehen im schwindenden Sonnenlicht vor einer Backstein-Kirche.
Bild: Carolin George
Durch die St. Nicolai-Gemeinde in Lüneburg haben sich junge Menschen kennengelernt, die sich anderswo vielleicht nie begegnet werden.

Woran hapert es? Wo stehen Mauern?
Bode:
Bei der Politik. Schon zu Beginn hätte die Regierung beim Thema Inklusion von den Schwerstmehrfachbeeinträchtigten ausgehen müssen. Alle anderen wären dann automatisch einbezogen gewesen. Stattdessen wurde mit den einfachsten Fällen begonnen. Und die kleine Gruppe mit geistigen Behinderungen wurde und wird immer wieder vergessen. 

Und wie ist es in „der Kirche“? 
Bode:
Es steht und fällt mit den Menschen vor Ort. So wie wir arbeiten, sind wir die Einzigen innerhalb der Landeskirche: mit einer eigenen Stelle für Behindertenarbeit, mit regelmäßigen Treffen, mit inklusiven Freizeiten und Fahrten. Fortan heißt sie Fachstelle für Inklusion. In Melle/Osnabrück gibt es eine Stelle für inklusive Projektarbeit im Konfer, und es gibt Gemeinden, die durchaus inklusiv arbeiten, wenn zum Beispiel ein junger Mensch mit Behinderung zum Konfer gehen möchte.
Aber: Inklusive Gottesdienste sind noch Leuchttürme, stechen also heraus. Dabei wäre es gar nicht so schwer, die Sprache zu vereinfachen, Gesten zu benutzen, auch mal aufstehen zu dürfen, von der starren Agenda abzurücken. Pastorinnen und Pastoren müssten sich damit auseinandersetzen. 

Was funktioniert schon jetzt gut?
Bode:
Der „Kirchentag barrierefrei“ klappt super. Das ist wirklich gelungen. Wenn wir mit unserer inklusiven Gruppe dort waren, konnten wir sofort sehen, von welchen Angeboten auch wir etwas haben. Oft reicht es ja schon, wenn einfache Lieder gesungen werden mit ein wenig Bewegung, wenn die Sprache leicht ist und wir weniger Abkürzungen, Anglizismen und Wortneuschöpfungen benutzen.

Apropos Sprache: Sollten wir etwas ändern, wenn wir über Behinderungen reden? 
Bode:
Ich finde: Eine Behinderung ist eine Behinderung, das darf man auch so nennen. Das Beste, was jeder Mensch tun kann, ist: einen Menschen mit Behinderung ganz normal zu behandeln. So wie jeden anderen auch. Das wär`s schon! Und eins noch: Bitte nicht gucken, als wäre man im Zoo. Wir machen uns viel zu viele Gedanken übers Sprechen anstatt einfach zu handeln: zum Beispiel zur Lebenshilfe zu gehen und zu sagen, ich mache etwas ehrenamtlich mit Behinderten.

Gibt es ein Highlight in Ihren 17 Jahren?
Bode:
Vielleicht war das tatsächlich der im Fernsehen übertragene Eröffnungsgottesdienst aus St. Nicolai zur „Woche für das Leben“. Aber eigentlich ist es jeder Gottesdienst gewesen, bei der die Kirche voll war auch mit Menschen mit Behinderung.  

Carolin George