So gelingt inklusiver Konfi-Unterricht
In der Lüneburger St. Nicolai-Gemeinde werden seit 1976 auch Jugendliche mit schweren Behinderungen konfirmiert. Eltern kämpften damals so lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatten: ein wenig Normalität für ihre Kinder. Und dazu gehört eben auch die Konfirmation mit dazugehöriger Konfi-Zeit.
Vier junge Leute aus der gerade konfirmierten, insgesamt 16 Jugendliche zählenden Gruppe haben uns erzählt, wie es für sie war, als sie feststellten: Oh, in meiner Konfi-Gruppe sind ja Jungen und Mädchen, die nicht laufen oder nicht sprechen können, die das Down-Syndrom haben oder Autist sind. Drei Mütter von Jugendlichen mit Behinderung berichteten uns, wie sie ihre Kinder während der Konfi-Zeit erlebt haben. Für die langjährige Diakonin Elke Bode war dies der letzte Konfi-Jahrgang, sie hat uns berichtet, was sie in ihren 17 Jahren erlebt hat – und was sie nicht erlebt hat. Und für den noch ganz neuen Pastor in der Gemeinde, Christoph Wiesenfeldt, war es das erste Mal in seinem Berufsleben, dass eine Gruppe Konfis zur Hälfte aus Jugendlichen mit Behinderungen besteht. Er hat viel gelernt, sagt er – und will jetzt noch viel mehr lernen.
Alexandra Erdmann, 41 Jahre, Heilerziehungspflegerin
„Unser Sohn Linus hat eine geistige Behinderung und kann nicht sprechen, er kommuniziert mit seinem Talker. Wir wollten als Eltern gern, dass er konfirmiert wird. Ich hatte so meine Bedenken, weil ich meinen Sohn ja kenne und weiß, dass er mit größeren Gruppen seine Probleme hat. Linus war vom ersten Treffen an sehr begeistert und wollte immer gleich wissen, wann das nächste Treffen ist.
Die Gottesdienstbesuche waren für ihn besonders schön, wenn noch ein zusätzliches Instrument gespielt wurde. Die anderen Konfirmanden haben ihn gut in die Gruppe aufgenommen, obwohl er öfters laut schreit oder quietscht. Ich kann nur sagen, dass Linus die Konfi-Zeit sehr genossen hat. Er fragt immer noch, wann er wieder los kann.“
Lennart, 14 Jahre, Schüler
„Ohne die Konfi-Gruppe hätte ich keine Menschen mit einer Behinderung kennen gelernt, bei uns auf dem Gymnasium sind keine, und anderswo treffe ich auch keine. Wir haben zusammen Fußball und Volleyball gespielt, ein paar von ihnen fand ich echt cool, so fröhlich und offen. Ich habe hier viel mehr gelernt als bloß den Stoff. Zum Beispiel, wie ich mit diesen Menschen umgehe. Ich versuche, mich deutlicher auszudrücken als bei meinen Freunden und stelle ihnen mehr Fragen, um herauszufinden, was sie möchten. Ich gucke, wie ich ihnen helfen kann.
Ob mir Konfer gefällt, wusste ich erstmal gar nicht. Ich habe dann mal zu Hause gebetet und auch mal einen Gottesdienst ausprobiert. Mittlerweile gefällt mir das so gut, dass ich weitermachen will. Der nächste Konfer-Jahrgang hat gerade angefangen und ich bin Teamer. Die Gruppe hilft mir, bei Gott zu bleiben.“
Dr. Carola Rudnick, 47 Jahre, Historikerin und Mutter
Als mein Sohn getauft wurde, war er Säugling. Die Diagnose seiner schweren Mehrfachbehinderung hatten wir damals noch gar nicht. Dass er konfirmiert wird wie seine Schwestern auch, war für uns selbstverständlich. Auch für den familiären Mikrokosmos. Warum sollte er keine Feier, keinen Besuch, keine Geschenke bekommen – und vor allem keinen Segen? Gerade die Schwächsten müssen doch gesegnet und von der Gemeinde getragen werden. Als aktive Christin hätte ich es beschämend gefunden, wenn das nicht möglich gewesen wäre.
Julius ging gern in den Gottesdienst, er sang und betete mit. Übrigens mit viel mehr Elan als manche Jugendliche ohne Behinderung (lacht). Im Unterricht war es für ihn manchmal zu theoretisch, da half die Bibel-App, die eigentlich für Krippenkinder gedacht ist. Beim Basteln war er voll dabei.
Pastor Christoph Wiesenfeldt war großartig. Er hätte Julius sogar bei uns zu Hause konfirmiert, wenn es ihm an dem Sonntag zu viele Reize durch die vielen Menschen vor und in der Kirche gewesen wären. Ein Pastor einer inklusiven Gruppe muss sich darauf einlassen können, dass er nichts unter Kontrolle hat. Das hat dieser Pastor großartig gemacht.
Mein Sohn hat Pflegegrad 5 und eine 100-prozentige geistige Behinderung. Er kann wenige Worte sprechen, ist motorisch stark eingeschränkt und kognitiv auf dem Niveau eines Zwei- bis Vierjährigen. Dass Julius mit auf der Konfi-Freizeit war und die anderen Jugendliche auf ihn und seine Bedürfnisse geachtet haben, ist für mich gelebte christliche Nächstenliebe.“
Elke Bode, 64 Jahre, Diakonin und Sozialarbeiterin
„Seit 1976 konfirmieren wir Menschen mit Behinderungen in eigens für sie gestalteten Unterricht. Das ging von Eltern aus, sie wollten einen Teil Normalität für ihre Kinder. Und dazu gehört eben auch Konfirmandenunterricht. Aus vielen Gemeinden hörten sie aber: Das geht nicht. Die Eltern ließen aber nicht locker, und in St. Nicolai gab es dann 1976 die erste Konfirmation in Zusammenarbeit mit der Förderschule der Lebenshilfe. Seitdem ist es selbstverständlich bei uns. Nach und nach wurde die Arbeit so viel, dass der Kirchenkreis eine Stelle für Behindertenarbeit schuf und bei uns ansiedelte. Das war 1988. Seit 17 Jahren habe ich diese Stelle inne.
Wir machen auch Freizeiten zusammen und fahren, wenn möglich, zusammen zum Kirchentag. Wir versuchen, uns politisch für Menschen mit Behinderungen einzusetzen.
Dies war mein letzter Konfi-Jahrgang. Mal hatten wir nur einen Lernverzögerten dabei, mal eine 50-50-Gruppe wie jetzt. Es ist ein Spagat. Was anders ist als in anderen Konfi-Gruppen? Wir arbeiten mit Gesten, Gebärden und Piktogrammen. Und der Geräuschpegel ist ein anderer. Was die jungen Leute mehr lernen als in anderen Gruppen, sind soziale Kompetenzen. In meiner gesamten Zeit gab es nicht ein einziges Mal Mobbing oder Diskriminierung. Im Gegenteil. Es wird darauf geachtet, dass es auch mit Rolli geht, wohin die Gruppe will. Alle nehmen mehr Rücksicht und sehen die Bedürfnisse der anderen. Gleichzeitig lernen sie, auch ihre eigenen zu formulieren: zum Beispiel zu sagen, wenn es zu laut ist.“
Flora, 14 Jahre, Schülerin
„Ich finde integrative Gruppen sehr spannend, weil ich Menschen mit Behinderungen sympathisch und fröhlich finde. Ich glaube, wenn wir eine Gruppe ohne sie gewesen wären, wäre die Gruppe stiller gewesen. So war es insgesamt viel lebendiger. Sie zeigen oder sagen, was sie wollen oder denken, ohne zu überlegen, was die anderen dann denken. Das ist gut. Manchmal war es auch anstrengend, wenn es zu laut wurde. Aber dann haben die Teamer etwas gesagt.“
Melanie Litzenberger, 41 Jahre, Med. Fachangestellte und Mutter
„Die Konfirmandenzeit war richtig klasse. Unsere Tochter ist geistig behindert und wir versuchen, alles möglichst normal für sie zu machen. Sie ist gerne zum Konfer gegangen und auch die 20 Mal in den Gottesdienst. Das haben wir durchgezogen. Sie kann nicht lesen und nicht schreiben, aber weil alles mit Gebärden unterstützt wurde, kann sie das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis jetzt auswendig und spricht alles mit.
Sogar zur Konfi-Fahrt durfte sie mit, das finde ich nicht selbstverständlich. Sie war mit den ,normalen‘ Mädels in einem Zimmer, das fand ich auch von den Mädels toll. Sie kam nach den vier Tagen total kaputt und glücklich wieder. Toll, dass es diese Gruppe gibt. In einer normalen Gruppe hätte Felina nur dabeigesessen, aber nicht viel mitgenommen. Das war wie ein Sechser im Lotto.“
Christoph Wiesenfeldt, 39 Jahre, Pastor
„Es war die erste inklusive Gruppe dieser Art für mich. Von 16 Konfirmandinnen und Konfirmanden hatte die Hälfte eine Behinderung, vom Down-Syndrom über Autismus bis zu schweren mehrfachen Behinderungen. Zwei konnten nicht sprechen. Das war neu für mich, ich musste vieles lernen und war froh, dass ich eine erfahrene Diakonin an meiner Seite hatte.
Leichte Sprache, mit Bildern arbeiten, mit Gesten das Gesagte unterstützen: Das lerne ich. Es ist eine irre Herausforderung und viel, viel personalintensiver als eine Gruppe von Konfirmand:innen ohne Behinderungen. Aber: Es geht. Wenn man sich beraten lässt und wenn man sich darauf einlässt, dass es nicht so funktioniert wie es sonst funktioniert, wie man es seit Jahren macht.
Ich finde es unglaublich wichtig, dass Kirche inklusiv ist und solche Gruppen anbietet. Es steht so häufig Inklusion drauf und dann… Und wenn wir ehrlich sind, auch unsere Gottesdienste müssen inklusiv werden. Ich möchte gern eine Langzeitfortbildung machen, um mich noch besser auf inklusive Gruppen einstellen zu können.“
Julian, 16 Jahre, Schüler
„Mit 13 fand ich Kirche uncool und habe mich gegen die Konfirmation entschieden. Ich wollte das nicht nur für die Geschenke tun. Ungefähr ein Jahr später kam aber doch das Interesse und ich bin einfach mal in den Gottesdienst gegangen. Ich habe verschiedene ausprobiert und mich dann hier (St. Nicolai, Lüneburg) total wohl gefühlt. Dass die Konfer-Gruppe inklusiv ist, wusste ich nicht. Es war eine Überraschung, aber ich fand es toll. Von Menschen mit Behinderungen bekomme ich in der Schule und auch sonst kaum etwas mit. Die Gruppe war eine tolle Möglichkeit, Vorurteile aus dem Kopf zu bekommen. Ich habe viel gelernt. Die Unterschiede können noch so groß sein, ich kann mit einem anderen Jungen zum Beispiel nicht reden, weil er nicht sprechen kann. Ich kann mit ihm aber Fußball spielen.
Nach der Konfirmation dachte ich dann: Jetzt soll das alles vorbei sein? Das wollte ich nicht. Als mich die Diakonin fragte, ob ich nicht Teamer werden möchte, habe ich sofort ja gesagt.“
Lale, 14 Jahre, Schülerin
„Ich wusste, dass es in dieser Gemeinde eine inklusive Konfer-Gruppe gibt und habe mich bewusst für sie entschieden. Ich hatte schon einen Zukunftstag bei der Lebenshilfe gemacht, das hat mir gefallen. Unter meinen Freunden sind wir nicht gemischt, in der Konfer-Gruppe aber haben wir uns gemischt. Das finde ich spannend. Wir haben mehr Rücksicht genommen als unter uns Freunden, es war mehr Verständnis da.
Ich gehe jetzt zum Jugendtreff des CVJM. Kirche wird auf jeden Fall weiter ein Ding für mich sein. Ich mag die Gemeinschaft, dass man sich geborgenfühlt und dass man so genommen wird wie man ist.“