Kirchliche Gebäude im Wandel

Ein Buntglasfenster in einer Kirche.
Bild: Christine Warnecke/EMA
Investoren haben eine ehemalige Kirche in Hannover zum Studentenwohnheim umgebaut.

Die beiden großen Kirchen in Deutschland müssen sich laut einem gemeinsamen Positionspapier in den kommenden 40 Jahren jeweils von etwa einem Drittel ihrer Gebäude trennen. Die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer werden demnach bis 2060 insgesamt rund 40.000 Immobilien verlieren, wie der evangelische Oberlandeskirchenrat Adalbert Schmidt und der Justiziar des katholischen Erzbistums Hamburg Karl Schmiemann in dem Papier schreiben. Hintergrund ist demnach der kontinuierliche Schwund der Kirchenmitglieder und der verfügbaren Finanzmittel.

Vornehmlich seien Pfarr- und Gemeindehäuser betroffen, aber zunehmend auch Kirchen. Diese stünden zum großen Teil unter Denkmalschutz. Die Autoren regen deshalb eine Vereinbarung mit den Denkmalschutzbehörden an, um zu einvernehmlichen Lösungen bezüglich der Nachnutzungen zu kommen.

Vielerorts gibt es bereits Ideen und auch umgesetzte Projekte, einige Beispiele finden sich hier:

Einweihung der Matschanlage neben der LutherHütte

Die LutherHütte in Georgsmarienhütte befindet sich in einem Stadtteil, in dem Migration und Armut eine besondere Rolle spielen. In der Kita sind ca. 15 Nationen vertreten und dementsprechend groß ist der Sprachförderbedarf. Deshalb sollte das Gemeinde- und Familienzentrum ein Ort der Begegnung, der Integration und Bildung für Kinder und Erwachsene sein. 2014 wurde unter Beteiligung der Stadt, dem Diakonischen Werk und der Sparkassenstiftung eine Projektstelle „Kirche goes Quartier“ geschaffen mit der Aufgabe: Aufbau einer kirchengemeindlichen Gemeinwesenarbeit im sozial benachteiligten Quartier durch eine Sozialarbeiterin.
Ein Kreis von ca. 30 Ehrenamtlichen aus der Kirchengemeinde und aus anderen Kulturen hat Angebote initiiert z.B. Lese- und Sprachförderung, interkultureller Frühstückskreis, Vater-Kind-Gruppe, Familienausflüge, multikulturelles Kochen und vieles mehr. Diese Maßnahmen wurden noch im alten Gemeindehaus durchgeführt und sind auch noch sehr erfolgreich.
Seitdem finden neben der klassischen Gemeindegruppenarbeit regelmäßige Nachbarschaftstreffen, offenes Gemeindecafé und anderes Begegnungsmöglichkeiten der Menschen im Quartier statt. Das Familienzentrum bietet einen umfangreiches Angebot, das diesen Besonderheiten Rechnung trägt. Beispiele sind: Bilderbuchkino, Dialog in Deutsch für Erwachsene, Handarbeitstreff, Offenes Elterncafé, Musik- und Nähworkshops und vieles mehr. Eine Gruppe Ehrenamtlicher hat sich zur Aufgabe gemacht, Angebote für Erwachsene zu machen unabhängig von den Angeboten von Familienzentrum und Kirchengemeinde unter dem Label „Treffpunkt LutherHütte“.

Spatenstich für das neue Gemeindehaus in Immensen.

Ein neues Dorfzentrum: Die St. Antonius-Kirche in Immensen (Region Hannover) wurde 1877–1878 als neuromanischer Backsteinbau in der Dorfmitte errichtet. Erste Spuren ließen sich schon vor über 600 Jahren finden. Ein Eckstein, den man im hinteren Teil der Kirche fand, zeigte die Jahreszahl 1414. Die Kirchengemeinde ist an vielen Punkten im Auf- und Umbruch. Das alte Pfarrhaus wurde verkauft. In der Dorfmitte entsteht zusammen mit dem Dorfladen die „Neue Dorfmitte“: mit einem Gemeindehaus der Gesamtkirchengemeinde, wo "Kirche und Welt aufeinandertreffen". Dafür steht auch die Neugestaltung des Kirchenvorplatzes, der bewusst zum Dorf hin geöffnet ist. In der Kirche haben wir gibt es statt Bänken Stühle, die beliebig arrangiert werden können. Mit Stationsgottesdiensten, Frauenfrühstücken, Konzerten, KinderKirchenKino, Vorstandssitzungen, Konfis, die sich auf einem Sofa vorstellen, Übungsabende für den Chor ProTon und dem Posaunenchor, dem Antoniusempfang oder mit einem Abendmahl in der Kirche an langen Tafeln will die Gemeinde neue Wege gehen.

Der umgebaute Innenraum der Bokeloher Kirche.

Die Gemeinde in Bokeloh hat die Gemeinderäume in die Kirche integriert. Zu viel Fläche - dieses Problem löste die Gemeinde in Bokeloh durch einen Verkauf von Pfarr- und Gemeindehaus. Die nötigen Gemeinderäumen baute sie in die Kirche selbst ein. Damit ergab sich eine Flächenreduktion von fast 50 Prozent. Am 16. Dezember 2011, genau 50 Jahre nach der Einweihung, konnte der Abschluss des Einbauprojekts gefeiert werden. Nun betreten Gottesdienstbesucher die Kirche durch den Gemeindesaal, der durch sechs große Glastüren vom Kirchenraum getrennt ist. Die unmittelbare Nähe von Gemeindesaal und Kirchraum macht es möglich, beide für Veranstaltungen zusammen zu nutzen. In der angedeuteten Seitenkapelle hinter der Orgel besteht seit Dezember 2011 die Gelegenheit, an einem von Gemeindegliedern selbst geschmiedeten Gebetsleuchter um einen Findling, zur Ruhe zu kommen und eine Kerze anzuzünden. Im Obergeschoss liegt das Gemeindebüro. Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht, Gruppen- und Vorbereitungstreffen finden in den drei Gruppenräumen mit Blick in die Kirche auf das Altarmosaik statt. 

Die St. Johannis-Kirche in Göttingen will mehr sein: Eine offene Bürgerkirche für alle Menschen.

St. Johannis in Göttingen will mehr sein: Eine offene Bürgerkirche für alle Menschen. Ein Veranstaltungsort, der neben der Göttinger Stadtkantorei und dem Posaunenchor St. Johannis auch anderen Kulturschaffenden eine Bühne bietet. Ein Raum für den gesellschaftlichen Diskurs und vielfältige Begegnungen. Seit 2014 ist einiges passiert: Der Chorraum wurde saniert. 2016 und 2017 dienten der Vervollkommnung des Altarraums und dem Beginn der Fenstergestaltung im Hauptschiff. Das Jahr 2019 markiert den Beginn der großen Innenrenovierungsmaßnahmen im Hauptschiff. Heizung- und Sanitäranlagen wurden erneuert.
Fazit aus dem Jahr 2022, dem ersten vollständigen Jahr nach der Innenrenovierung im Hauptschiff: Es gab mittlerweile Bewährtes, wie die Teilhabe am 31. Göttinger Literaturherbst, und auch ganz Neues, wie die Eröffnung der Göttinger Stummfilmtage und eventuell Einmaliges, wie den Wochenmarkt rund um die St. Johanniskirche.

Die ehemalige Athanasius-Kirche in Hannover ist umgebaut worden und Sitz des deutlich vergrößerten Hauses der Religionen.

Die Hannoversche Athanasiuskirche ist ein interreligiöses, bundesweites Pionierprojekt: Hinter dem „Haus der Religionen“ stehen die Gemeinschaften der Christen, Juden und Muslime, der Hindus, Buddhisten und Bahai sowie der Aleviten, Jesiden und Humanisten. Ihr Ziel ist, Verständnis für andere Religionen und Weltanschauungen zu entwickeln. Seit 2005 traf sich ein interreligiöser Gesprächskreis in der Athanasiuskirche Hannover, mit dem Umbau der Kirche hat sich die Fläche der Bildungsstätte auf 730 Quadratmeter verzehnfacht. Es gilt als bundesweit wegweisendes Pilotprojekt, denn in Berlin gibt es zwar das „House of One“, doch dort sind nur die monotheistischen Religionen vertreten.

Dass es einmal eine Kirche war, ist noch klar zu erkennen.

Aus Kirche wird Studi-Wohnheim: Wo einst die Orgel spielte, ist nun eine Gemeinschaftsküche. Und wo Menschen in Kirchenbänken saßen, öffnen sich jetzt Zimmertüren: In der früheren evangelischen Gerhard-Uhlhorn-Kirche in Hannover hat sich ein ungewöhnliches Bauprojekt vollzogen: Zwei Investoren bauten die 1963 errichtete Kirche in ein Studentenwohnheim um. 31 Räume sind hier neu entstanden, mit Eichenparkett, Duschbad und einem äußerst leisen "Flüsterkühlschrank".
Hintergrund: In Hannover-Linden hatten 2009 zwei evangelische Gemeinden fusioniert, damit war eine Kirche übrig. "Zwei Kirchen im Abstand von fünf Minuten, das ergibt keinen Sinn", sagte Pastorin Dorothee Blaffert. 

EMA