Tafel – bestes Beispiel für Arbeit für die Ärmsten

Die Tafeln in Niedersachsen merken, dass sie an ihre Grenzen stoßen: immer mehr Bedürftige, weniger Lebensmittelspenden und explodierende Preise. Die Kirche und Wohlfahrtsverbände sind in der aktuellen Krise mehr gefordert denn je.
Bild: Tanja Niestroj

Mehr Informationen

Die Tafel ist viel: ein beeindruckendes Beispiel für ehrenamtliches Engagement, Solidarität und praktische Hilfe. Und die Tafel ist Kirche. Etwa ein Drittel der Tafeln haben ihren Ursprung in ökumenischen Projekten katholischer und evangelischer Kirchengemeinden. Weitere Lebensmittelausgaben werden von Wohlfahrtsverbänden getragen und auch in nicht-kirchlichen Tafeln engagieren sich viele Menschen christlicher Kirchengemeinden.

Bestückt werden die Tafeln vor allem aus Spenden der Lebensmittelläden vor Ort. Die Idee, überschüssige Lebensmittel dort abzuholen, wo sie nicht mehr gebraucht werden, und an diejenigen zu verteilen, die sie benötigen, geht also auf. 

„Dennoch stehen viele Tafeln kurz vor dem Kollaps“, sagt Uwe Lampe, Vorsitzender der Tafel Niedersachsen. Allein in Niedersachsen gibt es 106 Tafel-Einrichtungen, die bis zu Beginn des Ukraine-Krieges schon rund 150.000 Menschen versorgt haben. „Seit Ende Februar sind noch einmal Zigtausende dazugekommen, aber wir können die Lebensmittelmengen nicht steigern“, beklagt Lampe. Im Gegenteil. Viele Nahrungsmittel, so der Vorsitzende, landen über Serviceklubs oder die Discounter direkt in der Ukraine und in Polen. Am Ende kämen Brot, Obst und Gemüse auf diese Weise zwar bei den Bedürftigen an, aber nicht mehr in den Tafelausgaben, wo sich die in Deutschland gestrandeten Familien hoffnungsvoll in die Schlangen Wartender einreihen.

Die Kosten steigen - fürs Einsammeln und für den Sprit

Ursprünglich war das Angebot der Tafeln an Obdachlose gerichtet, später kamen Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener dazu. „In den vergangenen Jahren haben wir die Geflüchteten aus Syrien aufgefangen, dann kam die Pandemie und wir mussten unser Konzept überarbeiten, um den Corona-Bestimmungen gerecht zu werden“, erzählt Horst Gora, organisatorischer Leiter der Hannöverschen Tafel. Die Kosten fürs Einsammeln der Waren klettern nach oben, die Spritpreise ebenfalls. 

Als „sehr bescheiden“ bezeichnet er die momentane Lage vor dem Hintergrund, dass mit dem Ansturm der ukrainischen Flüchtlingsfamilien auch die ehrenamtlichen Hilfsteams der Tafel an ihre Grenzen kommen – physisch und psychisch. An insgesamt sechs Stellen in Hannover wird immer noch bis auf den letzten Drücker gearbeitet, um alles für den jeweiligen Ausgabetag vorzubereiten. Die aus den Märkten abgeholte Ware wird ausgepackt, Obst und Gemüse, Milchprodukte, Brot und Nudeln sortiert und auf Kisten oder Taschen verteilt. Vor einigen Wochen musste Horst Gora die Reißleine ziehen, seither gibt er Lebensmittelspenden bis auf Weiteres nur noch an registrierte Gäste aus.

Bild: Tanja Niestroj
Zwei Mitarbeiterinnen sortieren Kühlprodukte.
Bild: Tanja Niestroj
Lebensmittel werden sortiert und ausgegeben.

"Hungern muss niemand"

Bis 20 Uhr hatten die Ehrenamtlichen bis dahin teilweise hinter dem Tresen gestanden, um Bedürftige in die Liste der Klienten aufzunehmen und sind damit irgendwann am Limit angekommen. Zu groß sei der Andrang an den Ausgabestellen, sagt Gora. Organisatorisch und zeitlich könne der Verein dem Ansturm mit seinen freiwilligen Helfern nicht mehr gerecht werden.

Doch was bedeutet das für die Menschen, die abgewiesen werden müssen? „Hungern muss deshalb niemand, denn es gibt immer die Möglichkeit, sich bei der Diakonie eine warme Mahlzeit oder ein Lunchpaket abzuholen“, erklärt Horst Gora. Dieses Angebot nutzen inzwischen auch viele Alleinerziehende oder in Altersarmut geratene Senioren. 

Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer

Das kann auch Wolfgang Drews, Geschäftsführer des Diakonieverbandes der Ev.-luth. Kirchenkreise Buxtehude und Stade, bestätigen. „Die Schere zwischen arm und reich wird in Deutschland seit Jahren größer“, so der Verbandsvorsitzende, der für die „Stader Tafel“ verantwortlich zeichnet. Ehrenamtliche geben in dem Kirchenkreis zwei Mal wöchentlich an sieben Standorten Lebensmittel aus. Die Zahl der Kunden habe sich in den zurückliegenden Wochen vervierfacht. Rund 230 Bedarfsgemeinschaften mit zwei, drei, vier oder mehr Familienmitgliedern profitieren mittlerweile von dem Angebot. Das Prozedere habe man mit dem Anstieg der Zahlen geändert, so Wolfgang Drews. „Die Familien melden sich über eine App an und wir stellen individuelle Lebensmittelpakete für die Haushalte zusammen, aber auch wer nicht durch die Mühlen der Bürokratie läuft, bekommt von uns Hilfe“, erzählt er. So hat Drews, auch um die Ausgabestellen zu entlasten, einen Hofladen für ukrainische Flüchtlinge organisiert, wo sich die Menschen ebenfalls gespendete Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung und Spielzeug abholen können. 

Bild: Tanja Niestroj
Wolfgang Drews ist Geschäftsführer des Diakonieverbandes der Ev.-luth. Kirchenkreise Buxtehude und Stade

Rückgang der Kirchensteuer ist Problem für Tafeln

„Mit den Lebensmittelspenden allein ist es ja nicht getan, denn die jährlichen Kosten für den Betrieb der Tafel belaufen sich auf einen sechsstelligen Betrag“, erklärt Wolfgang Drews, der sich aufgrund der ansteigenden Kirchenaustritte und der damit einhergehenden Senkung des Kirchensteueraufkommens große Sorgen um die Zukunft der Tafeln macht. 

Um der Finanzierungsdiskrepanz zu begegnen, ist er für den Kirchenkreis Stade und Buxtehude auf der Suche nach Unterstützern und hat dafür den „Freundeskreis Stader Tafel“ gegründet. Ziel ist es, ein Netzwerk aus Persönlichkeiten, Unternehmen und Verbänden oder Stiftungen aufzubauen. Also aus Sponsoren, die bereit sind, dauerhaft Gutes für die Stader Tafel zu tun und auf diese Weise zumindest die Infrastruktur hinter den Kulissen des Unternehmens Tafel sicherzustellen. 

„Viele Menschen verbinden Kirchensteuer mit Pastorengehältern und Kirchenbauten, dabei bedeutet Kirchensteuer vor allem soziale Arbeit an den Ärmsten“, fasst Wolfgang Drews zusammen und hofft, dass bei dem einen oder anderen Skeptiker zumindest in seinem Kirchenkreis Stück für Stück ein Umdenken stattfindet. 

Bild: Tanja Niestroj
Martina Rüß: "Am Ende des Geldes ist noch immer so viel Monat - und es wird immer mehr!"
Tanja Niestroj/EMA