Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes haben die Landesbischöfe in Hannover und Braunschweig den Wert individueller Freiheit, aber auch die Verantwortung zur Mitmenschlichkeit unterstrichen. Davon hänge die Zukunft der Demokratie maßgeblich ab.
Hannover/Braunschweig. Anlässlich des 75-jährigen Bestehens des Grundgesetzes hat der hannoversche Landesbischof Ralf Meister Parallelen zwischen den Texten der Verfassung und der Bibel hervorgehoben. Beide verbinde ein „Ringen über grundlegende Haltungen des menschlichen Zusammenlebens“, sagte Meister am Sonntag in der hannoverschen Marktkirche.
Zudem enthalte das Grundgesetz in seiner Präambel durch die Formulierung „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ einen direkten religiösen Bezug, der dem Grundgesetz eine „Zukunftsdimension“ verleihe. „Dieser Text besteht in der dritten Generation. Das Grundgesetz beschränkt den Anspruch nicht auf die heute lebenden Menschen, sondern fasst Verantwortung über die kommenden Generationen hinweg“. Es erinnere den Menschen „sowohl an die Größe seiner Aufgabe als auch an die Begrenztheit seiner Möglichkeiten“.
Der Landesbischof hob hervor, dass das Grundgesetz sowohl die Freiheit des Individuums als auch seine Verantwortung vor der Gemeinschaft betone. „Der Leitgedanke, dass beides zusammengehört, ist tief in unseren kulturellen und religiösen Traditionen verankert. Das Gebot der Nächstenliebe, das im Christentum mit der Gottesliebe zum Doppelgebot der Liebe zusammengefasst ist, heißt bekanntlich: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst‘.“ Gerade heute sei angesichts wachsender Ich-Bezogenheit eine Lebensform vonnöten, in der Freiheit und Verantwortung nicht als Alternativen begriffen, sondern zusammengesehen würden.
Der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns mahnte am Sonntag auf einer Pro-Europa-Kundgebung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung könne nicht bloß auf dem Papier leben. „Das Grundgesetz: Das ist jeder Einzelne von uns“, unterstrich Meyns. Dieses Bewusstsein erfordere eine „Haltung, die jede und jeder von uns im Alltag lebt, jeden Tag aufs Neue.“ Dazu gehöre es, Toleranz zu zeigen, Solidarität mit den Schwachen zu üben und gewillt zu sein, Kompromisse zu suchen und sich an Regeln zu halten.
Auch „die Bereitschaft, nicht sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern immer auch das Wohl anderer Menschen und das Gemeinwohl mit im Blick zu haben und sich aktiv dafür einzusetzen“ sei Ausdruck einer demokratischen Haltung. Meyns unterstrich, dass es heute, an einem „kritischen Punkt der Geschichte“, an jedem Einzelnen liege, „ob das Gute, das aus den Trümmern des Krieges gewachsen ist, Bestand hat, oder ob wir zurückfallen in die Barbarei“.
Auch Landesbischof Meister erinnerte in Hannover daran, dass die Geschichte des Grundgesetzes „in den Untaten, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland über die Welt gingen“, gründe. „Sie ist ohne das vollständige Versagen über das, was Recht von Unrecht trennt, nicht verständlich“.