„Wir können nicht mehr länger binär denken“
Der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (englisch International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia, kurz IDAHOBIT) wird seit 2005 jährlich am 17. Mai als Aktionstag begangen. Das Datum wurde zur Erinnerung an den 17. Mai 1990 gewählt, an dem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschloss, Homosexualität aus ihrem Diagnoseschlüssel für Krankheiten zu streichen. Im Interview spricht Pastor Theodor Adam darüber, was die Kirche zu dem Thema beitragen kann.
Herr Adam, was bedeutet der IDAHOBIT für Sie, wofür steht er? Und wie „begehen“ ihn Gemeinden?
Theodor Adam: Der IDAHOBIT ist der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit. Es gibt also queere Aktionen rund um den ganzen Globus für queere Rechte und für Gleichwürdigkeit für alle, gegen die Kriminalisierung und Diskriminierung queeren Lebens und Liebens. Für mich ist er eine große Ermutigung und eine Gemeinschaftsbildung: Wir sind über den ganzen Erdball verteilt und stehen auch als weltweite Gemeinschaft füreinander ein, wir sind viele und miteinander stark. Witzigerweise ist das wie mit der weltweiten Christ*innenheit: Irgendwo betet immer jemand für andere und hier setzt sich immer irgendwo jemand für queere Rechte ein, klärt auf oder ermutigt andere.
Aktuell bewegen sich ja einige Dinge – als klar war, dass das Selbstbestimmungsgesetz kommt, als es im April vom Bundestag beschlossen wurde, lagen sich Aktivistinnen und Aktivisten davor in den Armen und feierten einen „historischen Tag“. Wie nehmen Sie die Reaktionen auf das Gesetz in kirchlichen Kreisen wahr?
Adam: Zweigeteilt: Auf der einen Seite ist das neue Gesetz gegenüber dem alten Transsexuellengesetz ein Meilenstein und auch ein deutliches Bekenntnis zur Würde queerer Menschen. Das finden viele großartig, ich auch. Allerdings gibt das Gesetz ja erstmal nur einen Rahmen vor. Was das Gesetz genau bedeutet und wie es mit Leben gefüllt wird, das ist noch nicht ganz klar. Von steuerrechtlichen über bauliche Fragen, etwa, welche Toiletten wo vorgesehen sind, bis hin zu Kirchenbüchern, die angepasst werden müssen und praktischen Fragen wie nach der Zimmeraufteilung auf Freizeiten: Da ist noch vieles zu tun, die rechtliche neue Lage in eine funktionierende Praxis zu überführen.
Ein wenig klang es gerade schon an: Wie berührt das Selbstbestimmungsgesetz kirchliches Leben?
Adam: Im Grunde berührt es viele Bereiche, gerade in der Verwaltung brauchen wir eine größere Reform. Aber es geht auch generell um eine Sensibilisierung aller Menschen für ihre Sprache und Handlungen, denn mit dem Gesetz haben wir als Gesellschaft quasi einen neuen Standard festgelegt: Binäres Denken ist nicht mehr ausreichend. Wir sind vielfältiger als nur Mann und Frau.
Das alles wird nicht allen gefallen. Besonders konservative Menschen sagen, dass Queerness nicht zu ihrem Glauben passe, dass ihnen etwa beigebracht wurde, dass Homosexualität Sünde sei. Wie können wir in dieser Hinsicht zusammenkommen?
Adam: Der Austausch und Dialog ist ein ganz wichtiger Punkt, der bisher meines Erachtens noch viel zu kurz kommt. Es geht nicht darum, den Glauben einiger als falsch abzustempeln oder ihnen etwas aufdrücken zu wollen – wir brauchen einen offenen Austausch über unsere Vorstellungen, auch theologisch fundierte Aussagen dazu, dass Gott mehr kennt als zwei Geschlechter. Für mich geht es um die Erkenntnis, dass wir uns lange eingeengt haben und unsere Sicht erweitern müssen. Dem frühen Judentum waren übrigens durchaus mehrere Geschlechter bekannt, dort ist keineswegs nur die Rede von Mann und Frau.
Dennoch wird es Menschen geben, die sich der Thematik verweigern. Was sagen Sie denen, die kein Interesse an einem Workshop oder ähnlichem haben und zum Beispiel auf Facebook Hass-Kommentare posten und auf Gegenrede nur mit neuen Bibelzitaten oder anderen feststehenden Aussagen reagieren?
Adam: Ich arbeite vor allem options- und weniger problemorientiert. Dort, wo Menschen offen sind oder wo Potential für gute Dialoge liegt, auch wenn das Streit bedeuten kann, da gebe ich gern meine Kraft hin. Um Hass-Kommentare weiß ich, aber es wäre müßig, sich an Stellen mit Menschen zu streiten, wo klar ist: Wir wollen unseren Frust ablassen und heute äußert der sich in Hass gegen Queers, morgen in Hass gegen den Torwart, der den entscheidenden Ball nicht gehalten hat. Menschen, die wirklich ringen, die rufen an, fragen nach und hören zu und bringen das Ihre ein, bevor sie sich eine Meinung bilden, die dann auch begründet anti-queer sein kann. Was die Gruppen voneinander unterscheidet, ist die Dialogbereitschaft. Mir ist wichtig: Wir brauchen für alles, was wir tun und äußern, gute theologische Gründe. Ein „Das gab es früher nicht!“ ist nicht nur sachlich falsch, sondern auch theologisch nichtssagend. Hier wäre dann eher die Frage zu stellen: Woher kommt deine Angst vor vermeintlich Neuem? Was liegt unter deiner Ablehnung? Daraus entstehen oft tiefe Gespräche über die eigene Familiengeschichte – unter Hass und Aggression steckt oft viel Sensibilität und Verletzlichkeit. Aber auch meine Dialogbereitschaft hat Grenzen: Wo Menschen anderen die Daseinsberechtigung, das Christ*in-Sein oder die Liebe Gottes absprechen, da entstehen Abwertung und Entwürdigung und da ist kein sinnvolles Gespräch mehr möglich.
Sie sagen, diese Diskurs-Räume fehlen noch – wie sollten sie aussehen, was könnte diese Lücke füllen?
Adam: Das könnten etwa Pastoralkollegs der Akademie Loccum sein, Workshops und Seminare dort oder andernorts, in denen offen diskutiert wird. Am Michaeliskloster könnten liturgische Bausteine und Musik für Regenbogen-Gottesdienste entstehen. Ich selbst werde immer wieder zu Pfarrkonferenzen und ins Predigerseminar eingeladen, wo ich für diese Themen sensibilisiere. Immer wieder kommen Menschen auch auf mich zu, insbesondere aus der Jugendarbeit, und fragen, was sie beachten und tun können. Da spüre ich schon eine große Offenheit. Und es liegt an uns allen, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen, sodass sich zum Beispiel auch Ehrenamtliche trauen, ihre Themen in der Gemeinde anzusprechen und einzubringen. Mancherorts gelingt das zum Beispiel in der Konfi-Arbeit schon sehr gut.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Adam: In einer Gemeinde bei Lüneburg werden die Konfis bei der Anmeldung gefragt, wie sie gern angesprochen werden möchten bezüglich ihres Vornamens und ihrer Pronomen. Bei Elternabenden wird das Thema dann auch besprochen und ich habe noch nicht erlebt, dass Konfis deswegen ab- oder gar nicht angemeldet wurden. Das ist in meinen Augen ein gutes Vorgehen. Es wäre hilfreich, wenn die Landeskirche solche Beispiele sammeln und daraus allgemeine Vorschläge zum Vorgehen machen würde, damit Gemeinden eine Orientierung haben. So etwas ist auch schon in Arbeit. Auf jeden Fall gibt das neue Gesetz allen Rückenwind, die sich für eine vielfältige Kirche einsetzen – es gibt jetzt eine juristische Grundlage dafür. Nicht nur eine Selbstverpflichtung, sondern eine Notwendigkeit, mit dem Thema umzugehen.