Fehrs: Auch Christen fehlte Mut, gegen das Nazi-Regime aufzubegehren

Eine als Frau lesbare Person steht vor einer Bücherwand.
Bild: Marcelo Hernandez/Nordkirche

Hannover. Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, hat zum Holocaust-Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. „Es geht um die Trauer über Leid und Verlust, also den Blick zurück“, erklärte Fehrs am Samstag in Hannover. „Wir erschrecken noch immer über den Willen zur massenhaften Vernichtung menschlichen Lebens, von Kultur und Glaube, vor allem jüdischer Menschen, aber auch vieler anderer Gruppen“, sagte die Hamburger Bischöfin.

In die Trauer mische sich auch das Entsetzen, dass die damalige Gesellschaft diese Schreckensherrschaft nicht aufgehalten hat. Fehrs betonte: „Auch den meisten Christinnen und Christen fehlte Wille, Kraft und Mut, um aufzustehen und gegen das Nazi-Regime aufzubegehren. Das beschämt bis heute.“

Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende dankte den hunderttausenden Menschen, die in den vergangenen Wochen in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen sind. Engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie eine entschlossene Zivilgesellschaft seien „die besten Bollwerke gegen Fanatismus“, sagte sie.

Auch EKD-Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich mahnte, das Erinnern dürfe nicht nur den Blick in die Vergangenheit richten. „Menschenverachtende Ideologien, ja Hass und Menschenfeindlichkeit sind nicht nur historische Phänomene“, sagte Heinrich. „Als Kirche sind wir verpflichtet, eine klar vernehmbare Stimme gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Ausgrenzung zu sein.“

Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Niedersachsen, Gerhard Wegner, hat vor einem politischen Missbrauch des Kampfes gegen Antisemitismus durch Rechtspopulisten und Rechtsradikale gewarnt. „Hier wird zwar sorgfältig jeder Anschein von Judenfeindlichkeit vermieden, aber nur, um umso ungehemmter gegen Migrant*innen und Muslim*innen hetzen zu können“, sagte der frühere Theologie-Professor nach Angaben des Justizministeriums anlässlich eines Gottesdienstes am Holocaust-Gedenktag in Springe. „Antisemitismus lässt sich jedoch nicht durch Rassismus bekämpfen.“

Wegner warnte weiter, dass mit dem in der AfD überall präsenten Begriff der „Remigration“ tatsächlich Deportationen von Menschen gemeint seien, wie sie in der NS-Zeit die Regel waren und letztlich in Auschwitz endeten. „Mit dieser Partei zu sympathisieren, bedeutet, sich auf eine Politik jenseits des Menschlichen einzulassen“, sagte Wegner. Der Kampf gegen Antisemitismus sowie gegen Migranten- und Muslimfeindlichkeit gehörten untrennbar zusammen.

Am 27. Januar 1945 befreite die Rote Armee das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland offizieller Gedenktag für die Opfer des Holocaust, seit 2005 auch internationaler Gedenktag.

epd Niedersachsen-Bremen