Lengyel: Lösung im Nahost-Konflikt wird Zeit brauchen
Nach dem Angriff der Terrormiliz Hamas auf Israel scheint Frieden im Nahen Osten ferner zu sein denn je. In der Marktkirche in Hannover schilderte ein Rabbiner seine Sicht auf den Konflikt. Die Vorurteile säßen tief, sagt er – auf beiden Seiten.
Hannover. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern braucht es aus Sicht des jüdischen Rabbiners Gabor Lengyel aus Hannover noch viel Zeit, bis eine politische Lösung erreicht ist. „Hoffnung habe ich, aber nicht für heute und nicht für morgen“, sagte Lengyel (83) am Dienstagabend in Hannover bei einer Diskussion in der hannoverschen Marktkirche. Auf die Frage, ob er eine Zwei-Staaten-Lösung für möglich halte, antwortete der Rabbiner vor rund 200 Zuhörerinnen und Zuhörern: „Es ist nett und wunderbar, über Lösungen zu sprechen, aber noch viel zu früh.“
Dafür seien das Leid auf beiden Seiten und auch das gegenseitige Unverständnis noch viel zu groß und zu frisch, sagte der Rabbiner im Gespräch mit dem evangelischen Landesbischof Ralf Meister. Damit sich Juden und Palästinenser näherkamen, brauche es „Bildung, Bildung, Bildung“, um Vorurteile, Feindbilder und Missverständnisse zu überwinden. Beide Seiten müssten lernen, sich gegenseitig zuzuhören und nicht nur ihre eigene Position zu sehen.
Lengyel ist Rabbiner in der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Er stammt aus einer jüdischen Familie in Ungarn und überlebte als Kind den Holocaust. 1956 wanderte er nach Israel aus und diente in der israelischen Armee. 1965 kam er nach Deutschland und arbeitete als Ingenieur, bevor er sich ab 2003 als Ruheständler zum Rabbiner ausbilden ließ.
Nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober und der israelischen Reaktion darauf sei er innerlich zerrissen, berichtete Lengyel. Er liebe Israel, das Land sei seine zweite Heimat, doch er habe auch palästinensische Freunde. Er selbst sehe im Internet sowohl die israelischen wie auch die arabischen Nachrichten, um beide Perspektiven zu kennen.
Der Rabbiner warnte davor, alle Palästinenser vorschnell über einen Kamm zu scheren und zu Hamas-Terroristen zu erklären: „Wir müssen sehr vorsichtig mit unserer Sprache sein.“ Den Deutschen riet er, die Suche nach Lösungen in dem Konflikt sehr ernst zu nehmen. Wer die Situation der Palästinenser in den Blick nehme, dürfe nicht automatisch als Antisemit beschimpft werden.
Für die Menschen im weitgehend zerstörten Gaza-Streifen forderte Lengyel einen „Marshall-Plan“ zum Wiederaufbau nach dem Vorbild des Nachkriegsdeutschland. Der Rabbiner erinnerte daran, dass Deutsche und Israelis aus dem Holocaust unterschiedliche Lehren gezogen hätten. In Deutschland heiße die Lehre „Nie wieder Krieg“, in Israel dagegen laute sie „Nie wieder Auschwitz“.
Bischof Meister bezweifelte in der Diskussion, dass der Friedensgedanke in den Religionen allein ausreiche, um wirklich Frieden zu stiften. „Wenn man die Religionen allein laufen lässt, hat das ein höheres Gefährdungspotenzial, als wenn man sie einhegt“, sagte er. Eingehegt werden könnten Religionen durch das Recht: „Es braucht Regulative.“