Hannover. Die evangelische Theologin Petra Bahr ruft mit Blick auf die Debattenkultur in Deutschland dazu auf, öfter mal die Perspektive anderer zu übernehmen. „Das Kind, das quengelt, weil es müde ist, die Frau an der U-Bahn, die drängelt, weil sie rechtzeitig bei ihrer pflegebedürftigen Mutter sein will“, nennt sie in einem Gastbeitrag in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (Freitag) als Beispiel.
„Damit sind die großen Probleme nicht gelöst, ja oft nicht einmal angepackt“, schreibt die Regionalbischöfin. Jedoch bekäme die Erwartungshaltung eine andere Richtung: „Was willst du, das ich dir tun soll? Diese uralte Frage hat immer noch das Potenzial, die Welt, die ganz nahe und sogar die ferne, aus den Angeln zu heben“, schreibt Bahr.
Die Theologin diagnostiziert eine Veränderungsmüdigkeit in der Gesellschaft. Zwar hätten viele Veränderungen Freiheiten mit sich gebracht. „Man kann alles wechseln, die Religion, die Lebensform, die Geburtstagsrituale.“ Zugleich seien aber neue Zwänge entstanden wie der zur Selbstoptimierung. Dies führe aber auch dazu, dass andere Menschen daran gemessen würden, ob sie der eigenen Selbstbestimmung und dem eigenen Glücksversprechen nützten. Die Folge sei eine zerklüftete Gesellschaft: „Menschen mit ihren Gruppenanliegen treiben immer mehr auseinander.“
Dies werde in den sozialen Medien besonders deutlich, wenn sich dort etwa Gemeinheiten, Antisemitismus oder übelste Häme gegenüber Frauen oder Minderheiten entlade, schreibt die Theologin, die auch dem Deutschen Ethikrat angehört. Es gehe dabei um mehr als nur das Internet. „Die Neigung zur Übertreibung bis zur Verfassungsfeindschaft macht was mit Menschen im 'richtigen Leben'.“
epd Niedersachsen-Bremen