„Es war kostbar und es bleibt kostbar“

120 Menschen nehmen an der Entwidmung der Christophoruskirche teil
Eine Frau nimmt eine Taufschale aus einem Taufstein, vier weitere Personen stehen dabei.
Bild: Meret Köhne

Bissendorf-Wietze. „Willkommen denen, die diese Kirche als ihre bezeichnen und viele Erinnerungen, schöne und vielleicht auch traurige, mit ihr verbinden. Hier wurde gebetet und gesungen, geklagt und geschwiegen. All das verliert nicht seinen Wert – es war kostbar und es bleibt kostbar.“ Mit belegter Stimme und einfühlsamen Worten begrüßte Pastor Thorsten Buck ein letztes Mal zahlreiche Gemeindemitglieder in der Christophorus-Kirche in Bissendorf-Wietze. Etwa 120 Menschen versammelten sich hier zum Abendmahlsgottesdienst aus Anlass der Entwidmung der Waldkirche, in der seit 1968 Gottesdienste gefeiert worden waren. Ein großer Sanierungsbedarf, der aus Gebäudeschäden und dem Totalausfall der Heizung resultierte, hatte die Entwidmung unumgänglich gemacht.

„Wir schließen die Tür, aber vertrauen darauf, dass Gott uns begleitet“, schloss Thorsten Buck seine Begrüßungsworte an die Gemeinde. Trotz dieser Zuversicht müssten jedoch auch Ärger und Wut, Traurigkeit und Protest ihren Platz finden, hatte er zuvor betont. Vier Gemeindemitglieder formulierten ihre Traurigkeit und ihren Protest auf Schildern aus rotem Karton, die sie sich im Gottesdienst umhängten.

Ungewöhnlicherweise wurde der Gottesdienst gleich nach der Begrüßung mit dem Abendmahl begonnen: Es möge die Gemeinde stärken für das, was nun komme, und es möge sie zusammenführen, wünschte Pastor Buck allen Beteiligten. Die Traurigkeit, die fast greifbar den Kirchraum füllte, fasste Superintendent Dirk Jonas im Gebet in Worte: „Wir bringen vor dich unsere Traurigkeit und das Gefühl, diesem Ort nicht mehr gerecht werden zu können.“

Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr, die gemeinsam mit Superintendent Jonas die Entwidmung der Christophoruskirche vornahm, leitete ihre Predigt mit einer Kindheitserinnerung ein: dem Auszug von Oma Kleinschmidt aus ihrem uralten, bemoosten Häuschen am Ende der Straße. Oma Kleinschmidt, die niemandes Oma war, aber von allen doch so genannt wurde, machte das, was von ihrer Familie geplant worden war, nicht mit: Sie widersetzte sich dem schnellen Umzug nach Bayern, den die erwachsenen Nachbarinnen und Nachbarn für so vernünftig hielten. Die Kinder, die damals bei Oma Kleinschmidt ein und aus gingen, verstanden besser, was die alte Frau tat: „Sie hatte beschlossen, jedes Teil einzeln aus dem Haus in die Umzugswagen zu tragen – jedes Buch und jede Tasse, jeden Lampenschirm und jeden Vase. Allein und eigenhändig. Nicht das Klavier und den schweren Tisch, aber alles, was zu tragen sie in der Lage war.“

Manche Geschichte bekamen die Kinder aus der Straße während der vielen Tage des Umzugs von Oma Kleinschmidt zu hören; eine davon sei ihr bis heute unvergesslich, sagte die Regionalbischöfin: Noch heute sehe sie die Puppentassen aus Porzellan mit den kleinen Pferdchen in der Mitte und dem Goldrand vor sich. „Sie haben meinem Mädchen gehört“, hatte Oma Kleinschmidt damals leise gesagt.

„Als Kinder haben wir besser als die Erwachsenen verstanden: Oma Kleinschmidt verabschiedet sich auf ihre Weise. Sie überlässt die Trauer nicht anderen, nicht die Erinnerung, nicht das Erzählen der Geschichten. Sie hat sich Zeit gelassen. Für sie war das Haus kein alter, baufälliger Kasten, für sie war es ihr Lebensort“, so Petra Bahr. So ähnlich sei es wohl auch mit der Christophoruskirche, einem Haus, das im Lebenslauf vieler Menschen seinen Platz habe – als Haus des Lebens und Haus der Trauer, als Haus der Gottesbegegnung und Haus des Zweifels.

In besonderer Weise dankte die Regionalbischöfin denjenigen, die in vielen Ehrenämtern Verantwortung auf sich genommen und viel für dieses Haus und diese Kirche als lebendigen, zugewandten Ort getan hatten. „Ich hoffe sehr, dass das Ungemach nicht ausgerechnet an Ihnen ausgelassen wird“, appellierte Petra Bahr an die versammelte Gemeinde. Sie erinnerte auch an das Versprechen, das Gott seinem wandernden Volk gibt und das in der Bibel an vielen Stellen formuliert ist: „Wenn du aufbrichst, bin ich bei dir und wo du hingehst, da will ich mit dir sein.“

„Gott ist auf dieses Haus nicht angewiesen. Wir Menschen brauchen Türme und Glocken und Räume für Abendmahl und Kaffeetrinken, zum Schweigen, zum Beten, zum Musizieren und zum Diskutieren. Doch Gott bleibt nicht im leeren Haus zurück, er geht mit uns an jeden Ort, an dem wir sind“ – mit diesen aufrichtenden, Mut machenden Worten schloss die Predigt. Im Anschluss trugen ehrenamtlich engagierte Menschen aus der Bissendorfer Kirchengemeinde St. Michaelis, zu der die Christophoruskirche gehörte, die liturgischen Gegenstände aus der Kirche: Osterkerze und Bibel, Altarkreuz und Taufschale. Das Relief über dem Altar wurde symbolisch mit einem Tuch verhüllt. Tränen flossen bei diesem letzten Akt des Gottesdienstes, mit dem die Entwidmung endgültig wurde. Für alle Beteiligten, mit Ausnahme der Regionalbischöfin, war diese Erfahrung neu: Erstmals musste in der Wedemark und im Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen eine Kirche entwidmet werden.

Neben vielen Erinnerungen und vielen traurigen Gedanken war beim anschließenden Treffen bei Kaffee und selbst gebackenem Kuchen im Foyer vor der Kirche auch schon ein einzelnes, noch sehr vorsichtiges, aber dennoch befreiendes Lachen zu hören. Zur Erinnerung an die Waldkirche gehören eben auch die heiteren Momente.

Andrea Hesse, Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen