Der Herr segne Dich und behüte Dich.
Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig.
Der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und gebe Dir Frieden.
Diese Worte gehören zu meinem Beruf. Besser: Zu meinem Auftrag, meinem Dienst. Ich spreche sie immer wieder. Wirklich auswendig lernen musste ich sie in der Ausbildung nicht. Jeder, der ein paar Male im Gottesdienst war, kennt sie. Aber ich musste lernen, sie zu sprechen. Wie macht man das?
„Liturgisches Verhalten“ hieß im Vikariat die Unterrichtseinheit. Wir haben gelernt, uns im Talar zu bewegen. Wie wir die Hände zu halten und zu bewegen hätten. Welche Wege wir vor dem Altar gehen sollten. Der Gestus des Segnens also beginnt in der liturgischen Grundhaltung, dann werden die Hände ausgebreitet zur sogenannten „Entlassung“ und schließlich die Hände erhoben und der Segen gesprochen.
Die Kollegin, die das als erste ausprobieren sollte, bemühte sich redlich. Aber die Ausbilderin war nicht zufrieden. Sie flüsterte der Kollegin etwas ins Ohr, bevor die einen neuen Versuch unternahm.
Wir bemerkten den Unterschied sofort. Ein himmelweiter Unterschied. Uns kam plötzlich etwas ganz anderes entgegen. Segen eben, trotz der seltsamen Laborsituation.
Wir waren natürlich ganz heiß darauf, zu erfahren, was die Ausbilderin ihr für einen Trick ins Ohr geflüstert hatte, dass ihr Segnen auf einmal so anders war.
Es war dies: „Gucken Sie sich die Leute an, die da vor Ihnen stehen. Und denken Sie daran, dass Sie sie gerne haben.“
Wir Pastoren segnen nicht mit unseren eigenen Worten. Und letztlich sind es ja auch nicht wir, die den Segen spenden. Das ist Gott, der in unseren segnenden Worten und Gesten erfahrbar, spürbar, hörbar, sichtbar, präsent ist. Im Segen sollen die Gottesdienstbesuchende erleben, dass Gott sie liebt. Und mit diesem Gefühl wieder nach Hause gehen. Das merkt ein Gottesdienstbesuchender natürlich schneller, wenn ich ihm als Pastor auch zugewandt und freundlich gegenüberstehe.
Sich das bewusst zu machen, was ich da tue, in wessen Namen ich spreche und handle, ist wahrscheinlich noch wichtiger und sinnvoller, als bloß einzuüben, in welcher Art und Weise ich den Segen spreche. Ich spreche ihn im Namen, im Auftrag des lebendigen Gottes.
Ich denke, mein Segnen hat einen großen Sprung nach vorne gemacht, seit ich Beerdigungen mache. Der Gottesdienst beginnt in einer Kirche oder einer Kapelle und endet – wenn es sowas noch gibt – am offenen Grab. Wegen der örtlichen Gegebenheiten kommt es dann manchmal vor, dass ich über das offene Grab hinweg den Hinterbliebenen, den Trauernden Gottes Segen zuspreche. Was für eine starke Geste.
Und wie gut, dass ich mir die Worte des Segens nicht ausdenken muss. Sondern dass es sie längst gibt. In jedem Gottesdienst, auch am offenen Grab, sind sie mir ein kraftvolles Geschenk, dass ich mit vollen, mit geöffneten Händen weitergeben kann.
Amen.
4. Buch Mose 6,24–26