
Hannover. Die Frau mit den rotblonden Haaren möchte ihre Geschichte erzählen. Von den Zweifeln und Ängsten, die sie damals empfand, als sie das erste Mal schwanger wurde. „Ich wollte ein Kind, aber in meiner Partnerschaft lief es nicht gut, ich war depressiv, hatte Panikattacken und war unsicher, ob ich meinem Kind eine gute Mutter sein kann“, sagt Manuela Berger (Name geändert).
Irgendwann sei ihr klar geworden, dass sie mit ihrer Überforderung und ihren Sorgen alleine nicht fertig wird. „Das private Umfeld ist in solchen Situationen nicht hilfreich, ich wusste, ich brauche professionellen Rat.“ Kurze Zeit später saß Berger Christiane Joachim gegenüber und erzählte von ihren Problemen. Joachim leitet die Schwangerschaftskonfliktberatung des Beratungs- und Therapiezentrums (BTZ) in Hannover. „Das tat so gut - der geschützte Raum, ehrlich sein zu können, ernst genommen zu werden und auf Verständnis zu treffen.“
Der Schritt, den die heute 44-Jährige ging, ist für viele Frauen nicht selbstverständlich. „Frauenthemen laufen auch heute noch oft unter dem Radar“, sagt Joachim. Zwar zeige die jüngere Generation etwas mehr Selbstfürsorge, doch insgesamt laute das Motto bei Schwangerschaft und Geburt noch immer: Stell Dich nicht an, das wird schon, beiß' die Zähne zusammen. Das bestätigt auch Karin Aumann vom Evangelischen Beratungszentrum des Diakonischen Werks Hannover. „Schwangere, die unsicher sind und Probleme haben, machen das oft mit sich selbst aus oder weihen höchstens eine Freundin ein.“
17 anerkannte Beratungsstellen haben sich in der Region Hannover im „Arbeitskreis für Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung“ zusammengeschlossen. Sie gehören verschiedenen Trägern an, etwa der Arbeiterwohlfahrt, Pro Familia, dem Diakonischen Werk oder dem katholischen Verein Donum Vitae.
Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, erhalten hier psychosoziale Beratung, unter anderem um die Bescheinigung für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen. Nach Paragraf 218 des Strafgesetzbuches ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland rechtswidrig, bleibt jedoch straffrei, wenn er nach einer Beratung in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen vorgenommen wird.
Über den Vorstoß der Ampel-Koalition, Schwangerschaftsabbrüche in der frühen Phase zu legalisieren, wurde in der vergangenen Wahlperiode nicht mehr abgestimmt. Ob der Abtreibungsparagraf unter der neuen Bundesregierung liberalisiert wird, gilt als fraglich.
Joachim und Aumann sehen die Pflichtberatung von schwangeren Frauen kritisch. Eine Pflicht bewirkt den Beraterinnen zufolge, dass Frauen denken, sie müssten Argumente liefern, um den Schein für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen. „Frauen bekommen den Schein aber auf jeden Fall, wenn sie das wünschen“, sagt Joachim.
Lieber wäre es ihnen, wenn die Frauen freiwillig kämen - mit all ihren Anliegen, nicht nur, wenn es um einen Abbruch geht. Fragen gebe es viele - unerfüllter Kinderwunsch, Pränatal-Diagnostik, Probleme in der Partnerschaft, finanzielle Sorgen. „Wir sind immer ansprechbar“, sagt Joachim.
Ein Blick in die Statistik bestätigt, dass das von glücklichen Eltern und strahlenden Babys geprägte Bild von Schwangerschaft und Geburt nur eine Seite zeigt. Die andere ist unter Umständen mit viel Leid verbunden. Das Risiko einer Fehlgeburt beträgt dem Universitätsklinikum Heidelberg zufolge 15 bis 30 Prozent pro Schwangerschaft. Im Jahr 2021 wurden laut Statistischem Bundesamt bundesweit 3.420 Kinder tot geboren, das entspricht 4,3 Totgeburten je 1.000 Geborenen.
„Viele Frauen, die uns aufsuchen, haben eine Fehl- oder Totgeburt erlitten“, sagt Aumann. Die psychischen Auswirkungen, die Verunsicherung und die Trauer seien groß, die Folgen könnten etwa Angststörungen und Depressionen sein. „Gesellschaftlich wird das zu wenig wahrgenommen.“
Manuela Berger nickt nachdenklich. Sie erlitt in der elften Woche eine Fehlgeburt. „Ich hatte mich gerade innerlich auf das Kind eingestellt und mich gefreut, die Nachricht hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen.“ Einen Monat habe sie auf ihren Ausschabungstermin warten müssen - eine enorme Belastung.
Halt fand sie wieder bei Christiane Joachim. „Sie hat mich bestärkt, meine Trauer zuzulassen, mir Zeit zu lassen“, sagt Berger. Familie und Freunde hätten es zwar auch gut gemeint. „Aber sie haben zu früh signalisiert, ich solle einen Haken hinter die Fehlgeburt machen, das Leben ginge schließlich weiter - solche Sätze nützen einem gar nichts.“
Dass das Leben tatsächlich weitergeht und sogar wunderbare Überraschungen bereithält, weiß Manuela Berger inzwischen nur zu gut. Auf ihrem Schoß sitzt ihre Tochter Sophia (Name geändert). Mit großen braunen Augen blickt sie neugierig in die Welt. „Sophia wurde im November 2023 geboren“, sagt ihre Mutter lächelnd und drückt das kleine Mädchen fest an sich.