Missbrauchsbetroffene Janz: Kulturwandel braucht Mitgefühl

Kirchenleitung stellt Maßnahmen für Aufarbeitung und Prävention vor
Mehrere Personen aus dem Plenum hören der vortragenden Person zu.
Bild: Jens Schulze

Emotional ging es zu bei den Beratungen der hannoverschen Landessynode über Missbrauch in der Kirche. Die Betroffene Nancy Janz schilderte, was ihr angetan wurde. Rücktrittsforderungen gegen den Landesbischof unterstützt sie nicht.

Loccum. Mit einem persönlichen Bericht hat die Missbrauchsbetroffene Nancy Janz vor der hannoverschen Landessynode für einen Kulturwandel in der evangelischen Kirche geworben. Sie erzählte sehr eindrücklich und in klaren Worten, wie sie als Jugendliche von einem späteren Pastor der hannoverschen Landkirche sexualisierte Gewalt erlitten hat. „Ich war 17 Jahre alt“, sagte sie am Freitag vor dem Kirchenparlament in Loccum bei Nienburg. „Er nahm sich meinen Körper und ich durfte dazugehören.“

Sie sei ein Mensch voller Selbstzweifel gewesen, der sich nirgends zugehörig fühlte, sagte sie. Ihr Fall sei kein Einzelfall, sagte Janz, die auch Sprecherin des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. „Es geschah und es geschieht um uns herum, heute wie vor 20 Jahren.“

Die 44-Jährige schilderte, wie sie sich damals einer Kirchenvorsteherin anvertraute. Einzige Konsequenz sei gewesen, dass getuschelt und sie gemieden worden sei. Heute wisse sie, dass es noch viele weitere Betroffene gegeben habe – vor ihr und vor allem auch nach ihr. „Es hätte nicht noch mehr Leid gegeben, wenn jemand aufgestanden wäre.“

Eindringlich wandte sich Janz an die Mitglieder der Synode. „Wer von Ihnen hat eine Tochter oder Enkeltochter?“, fragte sie. „Würden Sie sagen, dass sie selbst schuld sind, wenn ein Pastor sie begrapscht, im Seelsorgegespräch?“ Einen Kulturwandel könne es nur geben, wenn Kirchenvertreter sich an die Seite der Betroffenen stellten, sich nicht abwendeten oder befürchteten, Nestbeschmutzer zu sein. Sie sei nicht nur missbraucht, sondern auch ihres Zuhauses und ihres Glaubens beraubt worden, „weil kein Bruder und keine Schwester sich zu mir stellte“. Janz appellierte an die Synodalen: „Es ist an Ihnen allen hier, denen die Tür zu öffnen, die sich verraten fühlen.“ Für ihren Vortrag erhielt Janz stehenden Applaus.

Landesbischof Ralf Meister wies vor Journalisten erneut Forderungen von Missbrauchsbetroffenen zurück, sein Amt niederzulegen. Seine Versäumnisse rechtfertigten einen Rücktritt nicht und würden nicht helfen, den von der Landeskirche begonnenen Prozess der Aufarbeitung und Prävention fortzuführen. „Wollen wir für ein Dreivierteljahr in eine institutionelle Chaoslage kommen?“, fragte Meister.

Ähnlich sieht es Nancy Janz. „Ich sehe im Moment nicht, dass Ralf Meister zurücktreten müsste“, sagte sie. Einen Rücktritt fordere nur „ein kleiner Teil“ der Betroffenen. Chaos an der Führungsspitze sei nicht im Sinne der Betroffenen. Die Personalie stehe für sie aber nicht im Vordergrund: „Ich möchte, dass Beschlüsse gefasst werden. Ich möchte, dass sich etwas verändert.“

Missbrauchsbetroffene hatten vor Beginn der Tagung einen Brief öffentlich gemacht, in dem sie den Landesbischof insbesondere für Versäumnisse in der landeskirchlichen Fachstelle Sexualisierte Gewalt verantwortlich machen und seinen Rücktritt fordern. Betroffene, die sich an die Fachstelle wenden, machten „weiterhin sehr negative Erfahrungen“, heißt es in dem Schreiben.

Wie schon in ihrer am Dienstag veröffentlichten Erklärung stellten sich die Landessynode, der Bischofsrat und das Landeskirchenamt am Freitag hinter Ralf Meister. Die gesamte Kirchenleitung trage Verantwortung, nicht nur der Bischof, sagte der Vorsitzende des Landessynodalausschusses, Jörn Surborg. Die Fachstelle leiste eine ausgezeichnete Arbeit. Kritik an der Fachstelle treffe in Wahrheit kirchenleitende Organe, die diese bisher nicht ausreichend personell ausgestattet hätten.

Die entscheidende Frage sei, ob von kirchenleitender Seite Missbrauchsfälle vertuscht worden seien, fuhr Surborg fort und verneinte dies deutlich. Für Rücktritte – von Meister oder von anderen kirchenleitenden Personen – bestehe kein Anlass.

Der Theologische Vizepräsident des Landeskirchenamtes, Ralph Charbonnier, räumte mit Blick auf bisherige Versäumnisse bei der Missbrauchsaufarbeitung vor der Synode ein, die Landeskirche sei „mit einem komplexen Leitungsmodell sehr anfällig für Verantwortungsdiffusion“. Er kündigte unter anderem eine weitere deutliche Aufstockung von Personal in der Fachstelle an. Diese sei künftig außerdem direkt dem Präsidenten des Landeskirchenamtes zugeordnet.

Bereits im April sei eine „Arbeitsgruppe gegen sexualisierte Gewalt“ eingerichtet worden, die von der persönlichen Referentin des Landesbischofs geleitet werde, berichtete Charbonnier. Im gleichen Monat habe die Geschäftsstelle der „Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission“ der evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Bremen ihre Arbeit aufgenommen.

Aus Sicht des Synodalen Fritz Hasselhorn steht die Landeskirche bei der Aufarbeitung noch ganz am Anfang. Mit eindringlichen Worten schilderte er vor der Synode, wie ihm nahestehende Personen im Umkreis des Missionsseminars Hermannsburg bei Celle seit den 1960er-Jahren teilweise über Jahrzehnte Opfer sexualisierter Gewalt geworden seien. Bis heute herrsche mit Blick auf diese Fälle „weithin ein Kartell des Schweigens und der Verdrängung“.

epd Niedersachsen-Bremen