Mehr als 100.000 Menschen haben am Wochenende in vielen Städten Niedersachsens gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie demonstriert. Ministerpräsident Weil bezeichnet die Protestwelle als „gelebten Verfassungsschutz“.
Hannover. Mehr als 100.000 Menschen haben am Wochenende in vielen Städten Niedersachsens sowie in Bremen gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie demonstriert. Allein in Bremen hatten sich am Sonntag nach Polizeiangaben bis zu 45.000 Menschen versammelt.
In Hannover strömten am Sonnabend nach Polizeiangaben rund 35.000 Menschen auf den zentralen Opernplatz. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil rief den Demonstrierenden zu: „Das, was ihr hier zeigt, ist gelebter Verfassungsschutz.“ Die AfD und die Rechtsextremen verschöben die Grenzen des Sag- und Denkbaren nach rechts, wenn sie etwa von „Remigration“ sprächen. Umso wichtiger seien deutliche Zeichen. „Migrantinnen und Migranten, seien sie kurz hier oder auch in der vierten Generation, sie alle sind Teil unserer Gemeinschaft.“
Der Protest, der zeitgleich an vielen Orten in Deutschland stattfand, ist eine Reaktion auf Berichte über ein Treffen hochrangiger AfD-Politikerinnen und -politiker mit Rechtsextremen. Bei dem Treffen im November in Potsdam war laut dem Recherchenetzwerk „Correctiv“ über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland diskutiert worden.
Landesbischof Ralf Meister sagte, „Demokratie verlangt viel. Weil es Menschen gibt, die diese beste Staatsform der Welt nutzen, um sie zu missbrauchen.“ Es sei wichtig, die Demokratie zu verteidigen und sich für sie einzusetzen. „Das zeigen wir! Tausende, zigtausende, hunderttausende Menschen in Deutschland!“ Wer dagegen anderen Menschen Rechte abspreche, von völkischem Mythos fasele und das Parlament zur „Pöbelstube“ mache, sei ein „Demokratie-Verräter!“
Weiter sagte Meister: „Das Herz der Demokratie ist Mitmenschlichkeit. Das Herz der Demokratie vertraut darauf, dass der Mensch das Gute wählen kann – und es wählt. Nicht nur für sich allein. Nicht nur für seine Gleichgesinnten, sondern für alle Menschen.“ Meister blickte auch voraus auf den Kirchentag im kommenden Jahr in Hannover. Er werde unter der biblischen Losung „Mutig – stark – beherzt“ stehen. „Das ist Hannover! Das seid Ihr“, sagte der Landesbischof zu den Demonstrierenden. „Und das werden wir auch in Zukunft sein: Mutige, starke und beherzte Demokratinnen und Demokraten!“
Regionalbischöfin Petra Bahr sprach mit Blick auf den bundesweiten Protest von einer „Brandmauer aus vielen Hunderttausenden Demokratinnen und Demokraten“. Sie rief dazu auf, Hass und Hetze nicht nur auf den Kundgebungen, sondern auch im persönlichen Umfeld entgegenzutreten.
Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), sagte, „Neufaschisten und ihre Helfer“ hätten Menschen in ethnische Gruppen aufgeteilt und überlegt, wie sie diese deportieren könnten. „Jetzt ist offensichtlich: auch heute ist niemand vor ihnen sicher.“ Umso mehr sei sie stolz auf den zahlreichen Protest. Die Hannoveranerin sagte, sie sei stolz auf ihre Heimat. „Stolz auf Menschen wie Euch.“ Auch Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay lobte, dass sich im Protest die Vielfalt der Stadt zeige.
„Nie wieder ist jetzt“
Unter dem Motto „Hannover zeigt Haltung gegen Rechts und für die Demokratie“ hatte ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Parteien zu der Kundgebung auf dem Opernplatz aufgerufen. Menschen drängten sich mit Schildern wie „Nie wieder ist jetzt“ oder „AfD wählen ist so 1933“ in den Straßen rund um den Platz. Dort erinnert ein Mahnmal an die jüdischen Bürger der Stadt, die in der NS-Zeit deportiert und ermordet wurden.
Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff erinnerte an die Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Sie sei ein Symbol für die geplante und systematisierte Tötung der Juden Europas. „Die Wannsee-Villa wurde zum Ort deutscher Schande“, sagte er. „Wir dürfen nie wieder zulassen, dass in Deutschland über die Selektion von Menschen nach Herkunft, Aussehen, Religion, Handicap oder irgendeines anderen Kriteriums beraten wird.“
In Braunschweig kamen nach Polizeischätzungen am Sonnabend rund 15.000 auf den Schlossplatz, der veranstaltende Stadtschülerrat sprach von 20.000 Personen. Dort betonte der braunschweigische Landesbischof Christoph Meyns, Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und Hetze seien mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. „Deshalb protestieren wir, wenn Pläne geschmiedet werden, um Menschen zu deportieren wie in den finstersten Zeiten der deutschen Geschichte.“
Am Sonntagnachmittag zogen nach vorläufigen Polizeiangaben mindestens 10.000 Menschen begleitet von Sprechchören wie „Ganz Göttingen hasst die AfD!“ vom Platz der Göttinger Sieben aus zum Neuen Rathaus. In Oldenburg zählte die Polizei am Sonnabend bei drei Kundgebungen in der Spitze bis zu 15.000 Teilnehmende, in Wilhelmshaven waren es 2.500, in Emden 2.000. Vor der Celler Congress Union versammelten sich ebenfalls am Sonnabend 4.500 Menschen, auf den Herzogenplatz in Uelzen kamen 1.100 Menschen. In Lüneburg zogen am späten Songabendnachmittag nach Zählungen der Polizei mindestens 5.000 Menschen zum Marktplatz, die Veranstalter gingen von deutlich höheren Teilnehmerzahlen aus.
Auch in anderen Städten in Deutschland kamen am Wochenende Zehntausende zusammen, um gegen Rechtsextremismus und die AfD zu protestieren. Auslöser der Protestwelle war eine „Correctiv“-Recherche über ein Treffen von AfD-Vertretern mit Neonazis und Unternehmern Ende November, bei dem über die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wurde.