
Gott hat schon immer zu mir gesprochen – ich habe es nur nicht gewusst. Aber als ich Paulus zuhöre, damals am Fluss, draußen vor den Stadttoren von Philippi, ergibt plötzlich alles einen Sinn.
Du bist fremd, haben sie oft zu mir gesagt. Pass dich an, damit du nicht auffällst. Zeig dich nicht zu sehr, halte dich raus, du gehörst nicht zu uns. Die Stimme in mir sagt etwas anderes. Deshalb verstecke ich meine Herkunft nicht.
Du bist eine Frau, das habe ich oft gehört. Halte dich an die Regeln und erfülle die Erwartungen. Die Stimme in mir flüstert: Du kannst mehr als brav an der Seite eines Mannes lächeln, du bist mehr als hübscher Besitz für Deinen Ehemann oder die Mutter seiner Kinder.
Du bist allein und ohnmächtig, das wollten sie mir einreden. Die Stimme in mir ermutigt mich und fordert mich auf: finde heraus, was du kannst und tu was du liebst. Das habe ich versucht und habe mir ein eigenes Leben aufgebaut.
Meistens bin ich dieser Stimme gefolgt. Ich lebe in einer fremden Stadt als erfolgreiche Unternehmerin mit einem großen Haushalt. Alle kennen mich. Sie nennen mich Lydia, die Frau aus Lydien, denn dort bin ich geboren.
Manchmal frage ich mich, ob mein Leben einfacher wäre, hätte ich diese Stimme nicht in mir. Hätte ich mir manches ersparen können? Niemand hier lebt wie ich. Ist das richtig, was ich tue? Und ist das schon alles, worauf es ankommt?
Ich schließe mich den Frauen an, die vor der Stadt beten. Ich höre ihnen zu. Mich fasziniert, was sie von ihrem Gott erzählen. Von Befreiung und Stärkung und mutigen neuen Wegen. Ich ahne, dass von diesem Gott eine besondere Kraft ausgeht. Aber ich gehöre nicht dazu. Ich bin keine Jüdin. Die Stimme in mir sagt: bleib trotzdem da.
Dann kommt Paulus. Er erzählt von Gott, der sich so sehr nach uns sehnt, dass er selbst Mensch wird. Gott, für den mein gesellschaftliches Ansehen, mein Geschlecht, meine Herkunft keine Rolle spielen. Kein Gott der vorschreibt, ausgrenzt und verurteilt, sondern ein Gott, der einlädt, heilt und neu macht. Je länger ich zuhöre, umso gewisser werde ich, wessen Stimme mich schon mein ganzes Leben lang begleitet. Es war richtig, ihr zu vertrauen.
Endlich weiß ich, wohin ich gehöre. Ich will ein Jesus-Mensch werden: Verantwortung übernehmen für diese Welt, die Liebe in meinem Leben wachsen lassen und mich mit dieser Kraft verbinden, die sogar den Tod überwinden kann. Ich lasse mich taufen und alles fühlt sich richtig an. Mein Herz ist ganz weit und ich lade alle ein. Ab heute wird mein Haus Kirche sein. Die Stimme in mir schweigt, aber ich spüre Gottes Lächeln.
Apostelgeschichte 16,9–15 (Basisbibel)
In der Nacht hatte Paulus eine Erscheinung. Ein Mann aus Makedonien stand vor ihm und bat: „Komm herüber nach Makedonien und hilf uns!“ Gleich nachdem Paulus die Erscheinung gehabt hatte, suchten wir nach einer Möglichkeit, um nach Makedonien zu gelangen. Denn wir waren sicher: Gott hatte uns dazu berufen, den Menschen dort die Gute Nachricht zu verkünden.
Von Troas aus setzten wir auf dem kürzesten Weg nach Samothrake über. Einen Tag später erreichten wir Neapolis. Von dort gingen wir nach Philippi. Das ist eine bedeutende Stadt in diesem Teil Makedoniens und eine römische Kolonie. In dieser Stadt blieben wir einige Zeit. Am Sabbat gingen wir durch das Stadttor hinaus an den Fluss. Wir nahmen an, dass dort eine jüdische Gebetsstätte war. Wir setzten uns und sprachen zu den Frauen, die an diesem Ort zusammengekommen waren.
Unter den Zuhörerinnen war auch eine Frau namens Lydia. Sie handelte mit Purpurstoffen und kam aus der Stadt Thyatira. Lydia glaubte an den Gott Israels. Der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten von Paulus aufmerksam zuhörte. Sie ließ sich taufen zusammen mit ihrer ganzen Hausgemeinschaft. Danach bat sie: „Wenn ihr überzeugt seid, dass ich wirklich an den Herrn glaube, dann kommt in mein Haus. Ihr könnt bei mir wohnen!“ Sie drängte uns, die Einladung anzunehmen.