Spätestens wer Kinder hat, kennt das. Man liebt sie, die Kinder, nebenbei erzieht man sie auch. Hoffentlich oft genug liebevoll. Bei meiner ersten Tochter habe ich schnell gemerkt, dass ich ihr etwas verbiete. Manchmal ärgerte ich mich über die Grenzen, die ich ihr setze. Weil sie letztlich nur Ausdruck meiner eigenen Grenzen waren – weil ich kaputt war, weil ich unter Zeitdruck stand.
Grenzen zu setzen und zu akzeptieren ist natürlich nicht nur ein Konfliktpunkt zwischen Kindern und Eltern. Das betrifft jedes Zusammenleben zwischen Menschen. Denn jede Freiheit, die ich mir herausnehme, kann die Freiheit eines anderen beschneiden. Kann einen anderen bedrängen und einschränken.
Wir brauchen offenbar Grenzen, die unser Zusammenleben schützen und so für alle heilvoll gestalten. Lange bevor wir an die Kriegsgebiete unserer Welt denken. Da auch, aber auch längst vorher.
Der Abschnitt aus der Bibel, der für diesen Sonntag als Predigttext vorgeschlagen ist, schildert die zehn Gebote. Gott trägt sie Mose auf, um das Zusammenleben der Israeliten untereinander und auch mit ihm selbst, Gott, zu regeln. Zu schützen. Um es möglich zu machen. Von einem eifernden Gott ist da die Rede, dem etwas liegt an dem Zusammenleben des Volkes, das er aus Ägypten in die Freiheit und eine neue Heimat führt.
Welche Grenzen sind hilfreich oder sogar heilsam? Wo haben, wo finden wir heute noch Grenzen? So weit muss ich gar nicht gehen und suchen, um Grenzen zu finden. Sie liegen in mir. Es sind keine Grenzen, die von außen an mich herangetragen werden, die jemand anders für mich festsetzt. Sie sind in mir selbst begründet. Das macht den Kontakt mit ihnen allerdings kein bisschen angenehmer. Ähnlich wie an den von außen festgesteckten Grenzen und Verboten kann ich mich an meinen eigenen Grenzen gut reiben und abarbeiten.
Wo welcher Mensch seine eigenen Grenzen hat, ist ganz unterschiedlich. Im umgekehrten Fall spricht man von Begabungen. Aber auch die eigenen Grenzen sind jedem (auf)gegeben. Der eine ist schneller am Limit als die andere. Wo die eine Lust und Potential hat, weiß und kommt der andere nicht mehr weiter. Da ist Ärger und Frustration vorprogrammiert.
In der Bibel lese ich zwei Gebote, mit denen Gott mir sagt: Geh behutsam mit Dir um. Du bist ein Mensch, natürlich hast Du Deine Grenzen. Achte auf sie! Nimm sie ernst, sonst gehst Du womöglich daran kaputt.
Das eine ist das Doppelgebot der Liebe: Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst (3. Mose 19, 18). Dieses Gebot fordert mich auf, mich nicht für andere krumm zu machen. Mein Nächster und ich – das geht nicht getrennt voneinander. Die Liebe und die Aufmerksamkeit, die ich beiden gebe, soll im Gleichgewicht sein. Ich soll mich nicht klein machen im Vergleich mit anderen. Und bei all dem, was ich für andere tue – als Arbeitnehmer gegenüber meinem Arbeitgeber (oder umgekehrt), als Verkäufer gegenüber meinen Kunden, als Frau gegenüber meinem Ehemann – darüber soll ich mich selbst nicht aus dem Blick verlieren. Überhaupt soll ich liebevoll mit mir umgehen. Dazu gehört auch, mit den eigenen Kräften gut zu haushalten.
Gott vollendete am siebten Tag die Schöpfung (1. Mose 2, 2-3). Das bedeutet, dass dieser Tag Teil der Schöpfung ist und auch an diesem Tag etwas erschaffen wurde. Nicht der Mensch ist die Krone der Schöpfung, sondern der siebte Tag, der Ruhetag, ist das Sahnehäubchen auf unserer Welt. Ein Tag, an dem wir in Frieden miteinander die Beine baumeln, die Hände ruhen lassen und die Gedanken auslüften können. Gott gebietet uns Menschen, immer mal Pause zu machen, wie er es selbst getan hat. Das ist das zweite Gebot, das mich darauf hinweist, meine Begrenztheit ernst zu nehmen. Ich soll nicht immer am Limit leben, sondern in Ruhe Abstand von meinen Grenzen gewinnen.
Ich denke, dass diese Gebote in der Bibel festgehalten sind, ist eine weise Entscheidung. Denn darauf, trotz aller Beschränkt- oder Begrenztheit liebevoll mit sich selbst zu sein, muss man manchmal gestoßen werden. Gott sagt uns das, weil er uns liebt.
Amen.
2. Buch Mose 20,1–17