Ein Traum von Liebe

Andacht zum 1. Sonntag nach Trinitatis
Ein Mann und eine Frau halten sich an der Hand.
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Der Autor

Simon Laufer
Bild: privat
Simon Laufer

Simon Laufer ist Pastor in Iselersheim und Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Bremervörde-Zeven.

„Seid lieb zueinander!“ Die Worte meiner Oma klingen mir noch nach vielen Jahren in den Ohren. „Seid lieb zueinander“: Den Satz sagte sie meist, mit verschmitztem Lächeln, aus harmlosem Anlass: Wenn mein Bruder und ich uns mal wieder gezofft haben, wie Geschwister das eben gelegentlich tun. „Seid lieb zueinander“: Das wünschen sich Kinder, wenn ihre Eltern streiten, Schiedsrichter auf dem Platz von den gegnerischen Mannschaften oder Lehrerinnen von ihren Schülern.

Dahinter steckt ein tiefer Wunsch vieler Menschen: der Wunsch nach einem friedlichen, liebevollen, harmonischen Miteinander. Nach Beziehungen ohne verletzende Worte und Taten, nach gelingenden Ehen, nach dem Ende von Kriegen und Konflikten. Alles nur ein frommer Wunsch und ferner Traum?
Eine Wurzel von Konflikten ist die Angst: Die Furcht, zu kurz zu kommen und übervorteilt zu werden. Oder auch davor, dass andere das geschenkte Vertrauen missbrauchen, einem übel mitspielen, Schlechtes im Sinn haben. Die Angst, auf dem Grund der Seele schlummernd, selbst nicht genügend geliebt zu werden. Oder in eigene Schuld verstrickt zu sein. Die Furcht, dass da einer kommt und sagt: es reicht nicht. Setzen, sechs.

Der Schreiber des Johannesbriefs packt diese Angst bei der Wurzel: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn die Furcht rechnet mit Strafe; wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.“ (1. Joh. 4,18-19)

Wenn wir diese Worte einfach als Auftrag oder Befehl hören, kommen wir in Schwierigkeiten: „Seid lieb zueinander!“ Sehr schnell stoßen wir dabei an die Grenzen unserer Liebesfähigkeit. Denn die schleppt ja immer schon manche Enttäuschung und Verletzung mit sich und ringt mit der Furcht: Reicht es aus? Bin ich genug? Liebe ich vollkommen? Und was, wenn nicht?

Gott sei Dank ist genau das nicht damit gemeint. Er hat uns zuerst geliebt, betont Johannes. Gottes Liebe ist die Quelle, aus der wir schöpfen. Und sie versiegt nicht. Er beschreibt diese Liebe genauer: Sie treibt die Furcht aus, sie nimmt uns die Angst, sie spricht uns frei. Diese Liebe ist in Christus Person geworden, anschaulich und greifbar. Sie ist das einzige Anti-Angst-Mittel, das in die Tiefen unserer Seele reicht.

„Seid lieb zueinander“: Der große Traum kann Wirklichkeit werden. Er nimmt immer dort Gestalt an, wo sich Menschen furchtlos in die Liebe Gottes fallen lassen. Wir müssen nicht vollkommen sein, weil seine Liebe es ist. Sie ist nicht Auftrag oder Befehl, sondern Gnade und Geschenk.

Ohne Furcht und befreit von Strafe können wir einstimmen in die Worte: Lasst uns lieben. Denn da ist einer, der sagt: Geh los und liebe. Denn ich liebe dich.

Predigttext,
1. Johannes 4,16b–21
Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Darin ist die Liebe bei uns vollendet, auf dass wir die Freiheit haben, zu reden am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Denn die Furcht rechnet mit Strafe; wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe.

Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt.

Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht.

Und dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe.
Simon Laufer