Der gute Hirte

Andacht zum Sonntag Misericordias Domini
Eine Silhouette eines Schäfers mit Schafen.

Der Autor

Ein Mann mit kurzem grauen Haar und Krawatte blickt ernst in die Kamera.
Hans-Joachim Lenke

Hans-Joachim Lenke ist Vorstandssprecher des Diakonischen Werks in Niedersachsen und Abteilungsleiter Diakonie im Landeskirchenamt Hannover.

Ein schöner Herbsttag in der Lüneburger Heide. Nur wenige Wanderer sind auf dem Weg. Erst von ferne, dann näherkommend: eine Schafherde ist unterwegs. Die Hunde halten die Herde beisammen. Die Schafe scheinen sie und den Hirten zu kennen. Er sieht, wenn die Tiere lahmen und wenn sie eine Pause brauchen. Im Gespräch mit dem Schäfer erzählte dieser von den Bedrohungen der Schafe durch die Wölfe. Es braucht hohe Zäune, wehrhafte Herdenschutzhunde oder besser noch: nachts ist die Herde im Stall. Aber der Hirte kümmert sich!

Die biblischen Texte dieses Sonntags nehmen das Hirtenbild auf. Sie deuten Jesus als Hirten. Die Gemeinde: seine Herde. Um die kümmert er sich. Ehrlicherweise kollidiert dieses Bild mit dem Lebensgefühl vieler Zeitgenossen, manchmal auch dem meinen. Dem Zeitgeist entspricht die Vorstellung, dass das Leben in all seinen Phasen eine Gestaltungsaufgabe ist. Dieser Anspruch, der manchmal auch eine ziemliche Überforderung sein kann, passt nicht so recht zum Bild von Herde und Schaf. Zugleich spüre ich auch in guten Zeiten, dass es mich berührt und stärkt, dass da der gute Hirte ist.

Denn es gibt auch das andere. Auch das ist Leben. Es gerät aus dem Tritt: eine Beziehungskrise, plötzlich eine Diagnose, die das „Weiter so“ in Frage stellt. Im Beruf werde ich in Frage gestellt. Leben wird anstrengend. Mühsam. Ehrlicherweise wird es das für die meisten Menschen irgendwann, wenn Kräfte merklich nachlassen und man sich an das Fuchsberger-Wort erinnert, dass Altwerden nichts für Feiglinge ist. Dann – dann finde ich die Vorstellung, dass da einer ist, der für mich sorgt wie ein Hirte für seine Schafe, ganz schön. Einer, der sieht, wenn ich lahme oder es mir zu schnell geht. 

Mich fasziniert besonders, dass das Hirtenhandeln Jesu mit dem Tod seiner Schafe nicht endet. Er kümmert sich – über den Tod hinaus. Er gibt Anteil an seinem Leben – dem Leben nach seinem Tod am Kreuz. Ewiges Leben nennen es die biblischen Texte. Was für ein Hirte! Dieses Leben ist Verheißung für seine Herde. Eine starke Perspektive in guten und in schweren Zeiten!

Deshalb nehme ich gerne das biblische Wort mit in die Tage dieser Woche, in dem Jesus Christus sagt: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Aus dem 10. Kapitel des Johannes-Evangeliums. Die Botschaft begleitet mich – wie der gute Hirte!

Predigttext,
Johannes 10,11–16
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. 12 Der Mietling, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, 13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. 14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, 15 wie mich mein Vater kennt; und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. 16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden.
Hans-Joachim Lenke