Von Gott gepackt und gesegnet

Andacht zum 1. Sonntag nach Ostern (Quasimodogeniti)
Zwei Füße gehen durchs Wasser.
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Die Autorin

Dr. Sybille C. Fritsch-Oppermann ist Pastorin in Hannover.
Bild: Thomas Block
Dr. Sybille C. Fritsch-Oppermann

Dr. Sybille C. Fritsch-Oppermann ist Pastorin in Hannover. Foto: Thomas Block

Vor uns liegt der 1. Sonntag nach Ostern. Quasimodogeniti ist sein alter lateinischer Name. Wie die Neugeborenen. Wir kommen neu zur Welt. Gott stellt uns vom Kopf auf die Füße.

Von solchem Aufstehen erzählt auch die Hebräische Bibel. Jakob zieht mit seiner Familie durch eine Furt des Jabbok. Er wartet, bis sie und was für sie bei einem Neuanfang in der früheren Heimat nötig ist, sicher am anderen Ufer sind. Er bleibt zurück. Vielleicht zögert er noch, denn er ist damals geflohen vor dem Zorn seines Bruders, dem er übel mitgespielt hat.

Nun kommt es an seinem Ufer zu einer fast traumhaften Sequenz. Einer ringt mit ihm. Ein zähes Ringen ist das, bis zur Morgenröte dauert es. Und es gibt weder Sieger noch Verlierer. Aber Jakobs Hüftgelenk wird verrenkt. Er weiß nicht, wie ihm geschieht in dieser Nacht. Aber er ist vom neuen Morgen, vom Sonnenaufgang an, gezeichnet.

Der ihn angegriffen hat, der will gehen, als der nächtliche Traum dem Tageslicht weicht. Aber nun lässt Jakob ihn nicht los. Diese Nacht lässt ihn nicht los. Er will tiefer eintauchen in diese wunderbare Nähe. Er will gesegnet werden. Will Gott schauen. Will sich selber auf den Grund gehen, den dunklen und den hellen. Und er ringt Gott, ringt Gottes Boten seinen Segen ab. Und heißt nun Israel – wie das von Gott gezeichnete weil auserwählte Volk, als dessen Urvater er gesehen wird.

Nelly Sachs hat die biblische Geschichte vom Kampf am Jabbok auf die Erfahrung des Holocaust hin in ein Gedicht gewendet, das wie ein Psalm geformt ist und Gott und der Welt trotz allem unaussprechlichen Leids den Glauben abringen will. In ihrem Gedicht „Jakob“ heißt es unter anderem:

O Israel,
Erstling im Morgengrauenkampf
wo alle Geburt mit Blut
auf der Dämmerung geschrieben steht.
O das spitze Messer des Hahnenschreis
der Menschheit ins Herz gestochen,
o die Wunde zwischen Nacht und Tag
die unser Wohnort ist!

Seliger für uns,
die in Vergessenheit Verkauften,
ächzend im Treibeis
von Tod und Auferstehung
und vom schweren Engel über uns
zu Gott verrenkt
wie du!

(Nelly Sachs: Jacob)

Eine Chance, die auch wir ersehnen, wenn wir im österlichen Geist mit Paulus einstimmen, dass wir von Angesicht zu Angesicht sehen werden, auch wenn wir heute nur stückweise erkennen. Im Ostergeschehen wird unsere Gebrochenheit todernst genommen und doch werden wir neu zusammengesetzt als Abbilder Gottes.

Von Gott gepackt und gesegnet.

Amen – das sei gewisslich wahr.

Predigttext,
1. Mose 32,23–32
23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok. 24 Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte. 25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. 26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. 27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. 28 Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. 29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. 30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. 31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. 32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
Sybille C. Fritsch-Oppermann