Vor uns liegt der 1. Sonntag nach Ostern. Quasimodogeniti ist sein alter lateinischer Name. Wie die Neugeborenen. Wir kommen neu zur Welt. Gott stellt uns vom Kopf auf die Füße.
Von solchem Aufstehen erzählt auch die Hebräische Bibel. Jakob zieht mit seiner Familie durch eine Furt des Jabbok. Er wartet, bis sie und was für sie bei einem Neuanfang in der früheren Heimat nötig ist, sicher am anderen Ufer sind. Er bleibt zurück. Vielleicht zögert er noch, denn er ist damals geflohen vor dem Zorn seines Bruders, dem er übel mitgespielt hat.
Nun kommt es an seinem Ufer zu einer fast traumhaften Sequenz. Einer ringt mit ihm. Ein zähes Ringen ist das, bis zur Morgenröte dauert es. Und es gibt weder Sieger noch Verlierer. Aber Jakobs Hüftgelenk wird verrenkt. Er weiß nicht, wie ihm geschieht in dieser Nacht. Aber er ist vom neuen Morgen, vom Sonnenaufgang an, gezeichnet.
Der ihn angegriffen hat, der will gehen, als der nächtliche Traum dem Tageslicht weicht. Aber nun lässt Jakob ihn nicht los. Diese Nacht lässt ihn nicht los. Er will tiefer eintauchen in diese wunderbare Nähe. Er will gesegnet werden. Will Gott schauen. Will sich selber auf den Grund gehen, den dunklen und den hellen. Und er ringt Gott, ringt Gottes Boten seinen Segen ab. Und heißt nun Israel – wie das von Gott gezeichnete weil auserwählte Volk, als dessen Urvater er gesehen wird.
Nelly Sachs hat die biblische Geschichte vom Kampf am Jabbok auf die Erfahrung des Holocaust hin in ein Gedicht gewendet, das wie ein Psalm geformt ist und Gott und der Welt trotz allem unaussprechlichen Leids den Glauben abringen will. In ihrem Gedicht „Jakob“ heißt es unter anderem:
O Israel,
Erstling im Morgengrauenkampf
wo alle Geburt mit Blut
auf der Dämmerung geschrieben steht.
O das spitze Messer des Hahnenschreis
der Menschheit ins Herz gestochen,
o die Wunde zwischen Nacht und Tag
die unser Wohnort ist!
…
Seliger für uns,
die in Vergessenheit Verkauften,
ächzend im Treibeis
von Tod und Auferstehung
und vom schweren Engel über uns
zu Gott verrenkt
wie du!
(Nelly Sachs: Jacob)
Eine Chance, die auch wir ersehnen, wenn wir im österlichen Geist mit Paulus einstimmen, dass wir von Angesicht zu Angesicht sehen werden, auch wenn wir heute nur stückweise erkennen. Im Ostergeschehen wird unsere Gebrochenheit todernst genommen und doch werden wir neu zusammengesetzt als Abbilder Gottes.
Von Gott gepackt und gesegnet.
Amen – das sei gewisslich wahr.
1. Mose 32,23–32