Licht, das die Dunkelheit vertreibt

Andacht zum Altjahresabend
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Der Autor

Jakob Kampermann
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Jakob Kampermann

Als ich ein Kind war und meine Eltern mich abends immer mit Gute-Nacht-Lied, Gute-Nacht-Gebet und Gute-Nacht-Kuss ins Bett gebracht hatten, musste die Tür zum Flur einen Spaltbreit offen stehen bleiben, damit etwas vom Flurlicht draußen ins dunkle Kinderzimmer fiel.

In alter Zeit waren diese Tage, oder besser gesagt: Nächte zwischen den Jahren, die Zeit zwischen Weihnachten und Epiphanias, die Zeit der Raunächte. In den Raunächten werden Grenzen zwischen den Welten fließend. Das Wilde Heer tobt durch die Nacht, Frau Holle geht um...

Es gibt viele Sagen und Bräuche zu diesen längsten und daher magischen Nächten des Jahres. Zu ihnen gehören viele unserer Silvesterbräuche, mit denen man die bösen Geister zu vertreiben versucht.

Heute Nacht machen viele die Nacht zum Tage und begrüßen das neue Jahr um Mitternacht mit dem Lärm und dem Licht der Böller und Raketen. Dieses Jahr geht das wieder. Die Glocken in unseren Kirchtürmen machen, so schön wir sie inzwischen finden, ähnlich Lärm.

Welche Schatten wollen wir damit vertreiben? Welche Geister wollen wir damit bannen?

Die Monster der Kindheit, die Geister der Altvorderen: Alles nur Hirngespinste der Fantasie?

Nein, ich glaube nicht mehr an Gespenster, aber ich spüre bisweilen dunkle Mächte in unserer Welt am Werk, deren zerstörerische Wirkung ich nicht begreifen, geschweige denn bewältigen könnte. Niemand ist davor sicher.

Bei verängstigten Kindern reicht ein Lichtstrahl durch die geöffnete Kinderzimmertür, der die unheimlichen Gestalten verbannt. Wie gerne würde ich auch einfach eine Tür öffnen, damit Licht in meine Nacht fällt und alle Dunkelheit vertreibt.

In seinem Lied von den guten Mächten besingt Dietrich Bonhoeffer genau diese Erfahrung: Wie sich mitten in seiner dunklen, engen Gefängniszelle eine Tür öffnet; die Tür zu einem unsichtbaren Reich (EG 65, 6): „Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.“

Vielleicht werden uns heute Abend Bibelworte des Apostels Paulus zum Türöffner zu jener unsichtbaren Welt: Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

Paulus in einem ganz starken Augenblick. Kraftvoll und machtvoll fällt Licht von diesen Worten auch in meine Nacht: „Ich bin gewiss – nichts kann uns trennen von Gottes Liebe.“ Ich spüre diesen Worten ab, dass sie nicht nur wie das Pfeifen im dunklen Keller sind.

Eìnes hatte er, das konnte er dem machtvoll entgegensetzen. All dem, was ihn bedrängt, setzt er diese Worte entgegen: Ich bin gewiss!

Es gibt solche Worte, solche machtvoll guten Worte, die die Finsternis vertreiben können. „Fürchtet Euch nicht“, war so ein Wort. Der Engel in der Weihnachtsgeschichte sagt es den Hirten zuallererst: „Fürchtet euch nicht! Euch ist der Heiland geboren!". Diese eine Nacht überwiegt alle Nächte dieser Welt.

Lasst uns so in diese Nacht und in das neue Jahr gehen – geborgen in diesen Worten, umhüllt von dieser Gewissheit, beschützt von dieser Hoffnung: Nichts kann uns trennen von Gottes Liebe, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.

Amen.

Biblischer Text,
Römerbrief 8,31b–39
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.
Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja mehr noch, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt.
Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht (Ps 44, 23): »Um Deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind geachtet wie Schlachtschafe.«
Aber in dem allen überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Jakob Kampermann