Ist unsere Demokratie in Gefahr? Was kann der oder die Einzelne beitragen, um sie zu schützen? Welchen Einfluss haben Haltungen, Werte und Religion? Was hat sich in der Gesellschaft verändert, seit vor 75 Jahren das Grundgesetz in Kraft trat?
„Nur wenn man einen gemeinsamen Konsens hat, kann man auch streiten“, fassen Vanessa Henkel und Johanna Bogon, Schülerinnen vom Kaiserin-Auguste-Viktoria-Gymnasium Celle, die Bedeutung des Grundgesetzes in einem Satz zusammen. Auf Einladung der Hanns-Lilje-Stiftung diskutierten die Abiturientinnen im Rahmen der Reihe „75 Jahre Grundgesetz – Demokratie ist Dialog“ in der Neustädter Hof- und Stadtkirche Hannover mit Bundespräsident a.D. Christian Wulff und Jugenddiakon Jan Mönnich aus Northeim.
Die beiden jungen Frauen waren bei den Demonstrationen „Celle gegen rechts“ und in Unterlüß dabei, als die AfD Niedersachsen ausgerechnet an Hitlers Geburtstag am 20. April dort ihren Parteitag abhielt. „Gerade in diesen Zeiten ist es unverzichtbar, aktiv zu sein, zu demonstrieren, Präsenz zu zeigen und lauter zu sein!“ In Unterlüß habe man die AfD bewusst stören wollen. „Hier geht es nicht mehr um Empathiefähigkeit, sondern es gibt klare Grenzen, die überschritten wurden. Da braucht es Widerstand, um unsere Demokratie zu schützen“, so die beiden Schülerinnen. Sie warnten vor der Bubble, die gerade auch soziale Medien schaffen würden: „In den sozialen Medien kann man schnell verloren gehen.“
Diese Gefahr sieht auch besonders Christian Wulff: „Was wir in der Politik nicht annähernd im Blick gehabt haben, ist das Internet“, sagte er: „Die Art und Weise, wie medien- und zielgruppengerecht die AfD dort argumentiert und Algorithmen nutzt, ist erschütternd. Wenn Sie nur TikTok beziehen, dann haben Sie das Gefühl, Alice Weidel wird die nächste Bundeskanzlerin!“ Man müsse ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sehr Social Media das Meinungsbild der Gesellschaft verzerre. Jeder sei gefragt: „Wir sind die Demokratie. Wir können nicht Freiheit und Demokratie einfach als Konsumenten genießen, sondern müssen sie aktiv mittragen“, appellierte der Politiker. In seiner Rede hob Wulff auch die Rolle der Kirche hervor, die den christlichen Gedanken von Freiheit und Friede in sich trage, Rückhalt im Glauben biete und Gemeinschaft schaffe: „Kirche hat das Potential, Verständigung zu schaffen.“
Jugenddiakon Jan Mönnich hat in seinem Wirkungskreis in Northeim ganz direkt mit rechtsextremen Strömungen zu tun. Der AfD-Kreisverband Northeim zeichnete den rechtsextremen Politiker Björn Höcke als „aufrechten Demokraten“ aus. „Wir müssen Menschen in Prozesse hineinnehmen und Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit trainieren, um sie für die Demokratie zu gewinnen“, sagte der Kreisjugendwart, der sich in vielen Projekten mit Jugendlichen engagiert sowie Jugendbegegnungen über Grenzen und Nationalitäten hinweg organisiert.
Vanessa Henkel und Johanna Bogon haben ihre ersten persönlichen Erfahrungen mit Politik übrigens bei den großen Schülerkundgebungen vor Corona gemacht: „Die Fridays-for-Future-Demonstrationen waren für uns der Einstieg. Da fingen wir an, Dinge zu hinterfragen“, erzählen sie nach der Veranstaltung. Die Schülerinnen, die beide im Abitur „Leistungskurs Politik“ belegt haben, wollen jetzt erstmal Erfahrungen im Ausland sammeln, um dann Politikwissenschaft beziehungsweise Sozialwissenschaften zu studieren.