
Hannover. Landesbischof Ralf Meister hat die Migrationsdebatte im Bundestag in dieser Woche scharf kritisiert: „Vorwürfe aller Parteien an den politischen Gegner verloren das Maß, wahltaktische Argumentationen dominierten“, betonte der leitende evangelische Theologe in einem am Sonnabend veröffentlichten Schreiben an die Kirchengemeinden seiner Landeskirche. Das Thema Einwanderung sei für den politischen Vorteil instrumentalisiert worden. Die parlamentarische Kultur habe Schaden genommen.
Zugleich kritisierte der Bischof der größten deutschen Landeskirche die CDU/CSU dafür, dass sie für ihre Anträge zur Verschärfung der Asylpolitik die Zustimmung der AfD einkalkuliert hatte. Allerdings nannte Meister die Parteien nicht namentlich: „Im Bundestag eine Stimmenmehrheit auf diesem Weg billigend in Kauf zu nehmen, um Lösungen für eine veränderte Einwanderungspolitik zu erzielen, ist im aktuellen Wahlkampf nicht hilfreich.“ Die Ereignisse erschwerten alle Möglichkeiten für einen sachgerechten, demokratischen Konsens.
Die Probleme könnten nur im Konsens der demokratischen Parteien gelöst werden, sagte der Bischof: „Die Möglichkeiten dafür sind durch diese Woche für die kommende Bundesregierung nicht leichter geworden.“
Meister forderte die Kirchengemeinden auf, Räume „für einen sachgerechten und fairen Dialog auch zwischen widerstreitenden Positionen“ zur Verfügung zu stellen. Ebenso sollten sie deutlich machen, dass Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt für Christen bindende Werte seien. Diese sollten auch den Umgang mit geflohenen Menschen bestimmen. „Wir beten für die Menschen, die politische Verantwortung übernommen haben. Wir bitten um ihre Klugheit und Kompromissfähigkeit, um ihre Besonnenheit und Menschenfreundlichkeit.“
Ein Gesetzentwurf der Unionsfraktion für eine Verschärfung der Asylpolitik war am Freitag im Bundestag gescheitert. FDP, AfD und BSW hatten Zustimmung signalisiert. Einige Politiker von CDU und FDP gaben ihre Stimme nicht ab, enthielten sich oder stimmten dagegen. Am Mittwoch war ein Antrag der Union, der unter anderem die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze forderte, mit den Stimmen von Union, FDP und AfD im Parlament angenommen worden.
„Sachfrage ‚Einwanderung‘ wurde für den politischen Vorteil instrumentalisiert“
Zur „aktuellen politischen Lage“ schreibt Landesbischof Meister an die Kirchengemeinden der Landeskirche Hannovers:
„Hinter uns liegt eine politische Woche, in der unsere parlamentarische Kultur Schaden genommen hat. Wir haben die Debatten im Parlament verfolgt oder sie in Ausschnitten zur Kenntnis genommen. Vorwürfe aller Parteien an den politischen Gegner verloren das Maß, wahltaktische Argumentationen dominierten. Die zentrale Sachfrage „Einwanderung“ wurde für den politischen Vorteil instrumentalisiert.
Im Bundestag eine Stimmenmehrheit auf diesem Weg billigend in Kauf zu nehmen, um Lösungen für eine veränderte Einwanderungspolitik zu erzielen, ist im aktuellen Wahlkampf nicht hilfreich. Es erschwert alle Möglichkeiten für einen sachgerechten, demokratischen Konsens. Die Herausforderungen für unser Land sind groß. Sie können nur in einem Konsens der demokratischen Parteien gelöst werden. Die Möglichkeiten dafür sind durch diese Woche für die kommende Bundesregierung nicht leichter geworden.“
Meister sieht in dieser Situation drei Aufgaben für die Kirche:
„Wir müssen fortwährend auf die Grundlagen unseres politischen Gemeinwesens hinweisen. Das tun viele unserer Gemeinden bereits sichtbar mit ihrem Engagement für Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt. Das sind drei Begriffe, die wir vor jede politische Auseinandersetzung stellen. Diese Haltungen haben in den Augen vieler Christ*innen auch Auswirkungen auf unseren persönlichen und gesellschaftlichen Umgang mit geflohenen Menschen. Zusammenhalt ist keine neutrale Angelegenheit, sondern geschieht in unserem Land nur dann sachgerecht, wenn sie das Miteinander im Geist der Nächstenliebe gestaltet und die Würde jedes Menschen achtet. […]
Wir beten für die Menschen, die politische Verantwortung übernommen haben. Wir bitten um ihre Klugheit und Kompromissfähigkeit, um ihre Besonnenheit und Menschenfreundlichkeit. […]
Ich bitte Sie, nutzen Sie alle Ihre Kontakte zu Menschen in der Bundes- und Landespolitik. Suchen Sie das Gespräch. Laden Sie sie ein. Weisen Sie auf die gemeinsame Verantwortung hin, die wir in unserer Demokratie von ihnen in den Parlamenten erwarten. Unterstützen Sie ihre Anliegen und geben Sie Raum in ihren Kirchen und Gemeindehäusern für einen sachgerechten und fairen Dialog auch zwischen widerstreitenden Positionen."