„Antidepressivum für die Landeskirche“

Seit zehn Jahren übernehmen Pastorinnen und Pastoren im Ruhestand Gastdienste
Eine Gruppe steht vor einem Gebäude mit dem Schild Festsaal.
Bild: Ralf Tyra

Hannover. Seit zehn Jahren gibt es „Gastdienste“ in der Landeskirche Hannovers. Es klingt wie ein kaum nennenswertes Jubiläum – und doch geht es um ein Erfolgsmodell, das immer wichtiger werden könnte. Rund 40 Teilnehmende blickten jetzt in einem kleinen Festakt im Stephansstift in Hannover auf die Geschichte dieses innovativen Projekts zurück.

Gastdienste sind verbindliche Vertretungsdienste von Pastorinnen und Pastoren im Ruhestand. Sie springen bei Vakanzen ein, bei längeren Erkrankungen, während der Elternzeit, bei einem Kuraufenthalt oder einem Studiensemester der aktiven Pastorinnen und Pastoren. Vertraglich geregelt und gegen eine Aufwandsentschädigung übernehmen die Ruheständlerinnen und Ruheständler Gottesdienste, Seelsorge, Amtshandlungen wie Taufen, Trauungen und Beerdigungen, aber auch beispielsweise Geburtstagsbesuche, Vorträge, Gemeindekreise oder besondere Projekte. Ganz wichtig: Der Dienst ist freiwillig.

Als „Antidepressivum für die Landeskirche“ bezeichnete Oberlandeskirchenrätin Dr. Nicola Wendebourg, Leiterin der Personalabteilung im Landeskirchenamt, die Gastdienste. Oft kämen die Ruhestandskolleginnen und -kollegen in eine gemeindliche Situation, die von Stress und Überforderung geprägt sei. „Wenn in so eine Stimmung dann ein 70-Jähriger hineinschneit, dem die Lust an der Arbeit ins Gesicht geschrieben steht, der erstmal fragt: Wo steht das Klavier? – dann verändert das etwas zum Positiven“, sagte Wendebourg.

„Wir können stolz auf dieses Modell sein“

Eine ältere als Mann lesbare Person in Anzug und Krawatte spricht an einem Rednerpult.
Bild: Ralf Tyra
Superintendent i.R. Volkmar Keil ist zuständig für Gastdienste in der Landeskirche.

„Die Landeskirche kann auf dieses Modell stolz sein. Und wir sind dankbar, dass es dieses Modell gibt“, unterstrich Superintendent i.R. Volkmar Keil, der – ebenfalls als Gastdienst – die Arbeitsstelle Ruhestandsdienste in der Landeskirche leitet. Unterstützt wird er vom ehemaligen Direktor des Hauses kirchlicher Dienste (heute: Service Agentur) Ralf Tyra, der für die Beratung und Begleitung von Pastorinnen und Pastoren für die nachberufliche Zeit zuständig ist.

Die Landeskirche Hannovers war die erste, die Gastdienste eingerichtet hat. Inzwischen würden andere Landeskirchen das Modell kopieren, berichtet Volkmar Keil nicht ohne Stolz. Vor ihm leistete Pastor Andreas Brummer die Aufbauarbeit. 2014 übernahm der inzwischen verstorbene Pastor i.R. Helmut Syska in Ostrhauderfehn „den ersten Gastdienst in der Kirchengeschichte“. Waren es anfangs 14 Vertretungsdienste, wuchs die Zahl auf 115 im vergangenen Jahr an.

„Zu Beginn waren die Dienste vor allem für Krankheit, Studienzeiten oder Elternzeiten und nur im Sonderfall für Vakanzen gedacht“, so Keil. „Inzwischen haben sich die Vakanzen ganz in den Vordergrund geschoben.“ Das dürfe nicht verwundern, erklärt der ehemalige Superintendent des Kirchenkreises Harzer Land. „In unserer Landeskirche gibt es inzwischen so viele Ruheständler wie aktive Pastoren. Daran kann man nicht vorbeigehen. Und ich bin froh, dass die Landeskirche diese Thematik bewusst angeht.“

Ursprünglich sollten die Gastdienste für die Kernarbeit in der Kirchengemeinde zuständig sein, nicht aber für Verwaltungstätigkeiten. Inzwischen gebe es die Möglichkeit eines „erweiterten Gastdienstes“, der in einer vakanten Gemeinde auch Leitungsaufgaben wie die Geschäftsführung des Pfarramtes umfassen kann.

Wichtig ist Volkmar Keil, dass die Ruheständlerinnen und Ruheständler nicht als „Störenfriede“ mit veralteter Dienstauffassung gesehen werden. Die Kirche und auch das Selbstverständnis der Pfarrpersonen verändere sich. Hierüber wolle man mit der jüngeren Generation im Gespräch bleiben. „Und wenn wir zurzeit einen Gastdienst haben, wo es um den Aufbau eines Segensbüros geht, wird sichtbar, dass wir uns gerne beteiligen möchten an einem neuen Bild von Kirche“, sagt Keil.

Lothar Veit / EMA