Landesbischof sieht Kirchenasyl als „unglaubliches Privileg“
Rotenburg/Wümme. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat es als „unglaubliches Privileg“ bezeichnet, in einem Staat zu leben, der mit dem sogenannten Kirchenasyl „humanitären Widerstand aus Gewissensnot außerhalb des Rechts akzeptiert“. „Wir nutzen dieses religiöse Selbstbestimmungsrecht, welches Raum für humanitäre Eingriffe ermöglicht und wollen es weiterhin nutzen“, sagte Meister am Mittwoch in einem Gottesdienst in der evangelischen Stadtkirche Rotenburg bei Bremen.
„Doch wir erleben, wie diese Akzeptanz schwindet“, räumte Meister ein. Kirchliche moralische Überheblichkeit sei hier allerdings – wie überall – fehl am Platz. „Die Kirche, die Gewalt in vielerlei Form, innerhalb und außerhalb der Kirche zugelassen hat, braucht erst einmal demütige Einsicht in ihr eigenes Handeln, bevor sie sich aufschwingt, andere zu belehren über rechtes Handeln.“
Im niedersächsischen Bienenbüttel hatte die Landesaufnahmebehörde am 12. Mai mithilfe der Polizei das Kirchenasyl einer russischen Familie in der St. Michaelisgemeinde aufgelöst. Das Ehepaar, der erwachsene Sohn und die 16-jährige Tochter waren noch in der Nacht aufgrund der Dublin-Regelung nach Barcelona abgeschoben worden, weil sie ein Touristenvisum für Spanien besaßen. Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD) hatte dazu am Dienstag in einem Gespräch unter anderem mit der evangelischen Kirche gesagt, Eingriffe ins Kirchenasyl solle es in Niedersachsen bis auf Weiteres nicht mehr geben.
Bei einem Kirchenasyl gewährt eine Kirchengemeinde von Abschiebung bedrohten Geflüchteten einen zeitlich befristeten Schutz. Ziel ist es, eine erneute sorgfältige Prüfung ihrer Situation durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu erreichen. Menschen, denen durch eine Abschiebung Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit oder nicht hinnehmbare Härten drohen, sollen dadurch ein neues Asylverfahren oder ein Bleiberecht in Deutschland erhalten.
Meister: „Ich nehme mich auch selbst in die Verantwortung“
Mit Blick auf die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche und Fragen der Prävention warb der Landesbischof für eine „deutliche Kulturveränderung“. „Die Aufarbeitung betrifft uns alle unmittelbar“, beispielsweise in der Erarbeitung von Schutzkonzepten, sagte der leitende Theologe der größten evangelischen Landeskirche Deutschlands.
Gefragt seien eine besondere Sorgfalt und Achtsamkeit etwa in der Ausübung von Macht in der Kirche, sagte Meister vor dem Generalkonvent und damit vor der Vollversammlung der hannoverschen Pastorinnen und Pastoren aus dem Elbe-Weser-Raum in der Rotenburger „Niedersachsenhalle“. „Ich nehme mich auch selbst in die Verantwortung“, fügte er hinzu.
Eine Änderung der Kultur des Umgangs miteinander könne „niemals von oben“ gelingen, erklärte der Landesbischof und bekräftigte vor dem Generalkonvent: „Ich wünsche mir, dass wir das als gemeinschaftliche Aufgabe sehen.“
Die Prävention und die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche soll ein Schwerpunktthema der hannoverschen Landessynode sein, die in der kommenden Woche ab Mittwoch (5. Juni) zu ihrer viertägigen Frühjahrstagung im Kloster Loccum bei Nienburg zusammenkommt. Dabei soll es auch um die Ergebnisse und Konsequenzen aus der sogenannten ForuM-Studie zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie gehen, die Ende Januar öffentlich vorgestellt wurde.