Fachleute werfen der Landeskirche Überforderung im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirchengemeinde Oesede in den 1970er-Jahren vor. Der Landesbischof und weitere Kirchenvertreter nahmen dazu am Freitag umfassend Stellung.
Hannover. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hat Fehler im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Landeskirche Hannovers eingeräumt, einen Rücktritt aber abgelehnt. „Ich habe nach Abwägung und Gewissensprüfung entschieden, im Dienst zu bleiben“, sagte Meister am Freitag in Hannover. Der 62-Jährige ist seit 2011 hannoverscher Landesbischof.
Meister stellte die bisherigen Bemühungen der Landeskirche um Aufarbeitung heraus, sprach aber zugleich von einem institutionellen Versagen und persönlichen Versäumnissen: „Ich habe mit dazu beigetragen, dass Betroffene weiterhin nicht angemessen gehört wurden.“ So sei es „unsensibel und falsch“ gewesen, Betroffene aus formalen Gründen an andere Personen zu verweisen. Er habe bereits begonnen, Gespräche mit Betroffenen zu führen und stehe weiter für Gespräche bereit.
Meister reagierte damit auf eine im Februar veröffentlichte Studie zu mehreren Fällen sexualisierter Gewalt in Oesede bei Osnabrück zwischen 1973 und 1977. In der dortigen evangelischen Kirchengemeinde hatte ein angehender Diakon mindestens acht Kinder missbraucht. Eine unter dem Pseudonym Lisa Meyer auftretende Betroffene meldete sich 2010 erstmals bei der Landeskirche und drängte ab 2020 weiter auf die Aufarbeitung ihres Falles. Sie wirft der Landeskirche schwere Versäumnisse, Verschleppung und Fehleinschätzungen vor und forderte den Rücktritt des Landesbischofs.
Laut der Studie, die von der Landeskirche in Auftrag gegeben worden war, hatte der damalige Pastor von Oesede in den 1970er-Jahren die von Eltern geäußerten Verdächtigungen vertuscht. Dies sei „verheerend“ gewesen, sagte Meister. Die Studienautoren werteten das Verhalten der Landeskirche nach 2010 als schweres Versäumnis, weil deswegen eine zeitnahe Aufarbeitung unterblieben sei. Die leitenden Theologen hatten damals auf die Verjährung der Taten verwiesen. Als die Betroffene ab 2020 die Aufarbeitung weiter vorantrieb, waren der frühere Diakon und der Pfarrer bereits gestorben.
Als Bischof habe er eine „Verantwortung für die Gesamtkirche“, betonte Meister am Freitag und fragte: „Was verändert sich durch einen Rücktritt, mit Blick auf die Gesamtlage Kirche?“ Innerhalb wie außerhalb der Kirche erfahre er viel Unterstützung, auch für seine Initiativen im Bereich Missbrauchsaufarbeitung. „Wenn ich Signale bekäme, dass meine Glaubwürdigkeit massiv beschädigt ist, würde das für mich eine neue Situation ergeben.“
Als eine Konsequenz aus dem Bericht gab Meister bekannt, dass die landeskirchliche Fachstelle für Sexualisierte Gewalt personell aufgestockt und direkt dem Präsidenten oder der Präsidentin des Landeskirchenamtes unterstellt werden soll. Zudem habe sich die Landeskirche bereits im Dezember dazu verpflichtet, bis März 2025 eine Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission für Niedersachsen und Bremen zu bilden. Meister betonte, die Missbrauchsfälle seien eine „unglaubliche Verletzung des eigentlichen kirchlichen Auftrags“.
Der Vorsitzende des Landessynodalausschusses, Jörn Surborg, stellte sich hinter den Landesbischof. „Zu sagen, wir müssen hier den Stab brechen, halte ich für unangemessen.“ Derweil unterstrich der Theologische Vizepräsident im Landeskirchenamt, Ralph Charbonnier, dass bei der Begleitung der Opfer im Fall Oesede seit 2020 weiter Fehler gemacht worden seien. „Für das Landeskirchenamt bitte ich die Betroffene und die örtlichen Mitarbeitenden um Entschuldigung“, sagte Charbonnier. „Für diese Taten eines kirchlichen Mitarbeiters, für die Versäumnisse der Mitarbeitenden im Umfeld können wir uns nur schämen.“