Hannover, Oesede. Eine unabhängige Aufarbeitungskommission will am 27. Februar ihren Abschlussbericht zu Fällen sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirchengemeinde Oesede bei Osnabrück in den Jahren 1972 bis 1974 veröffentlichen. Der Bericht werde in Hannover der Presse vorgestellt, teilte die hannoversche Landeskirche am Freitag mit. Er werde ohne vorherige Kenntnisnahme der Landeskirche veröffentlicht.
Wenige Wochen nach der Präsentation der großen sogenannten „ForuM-Studie“ zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und in der Diakonie geht es dabei auch um die Frage, wie Verantwortliche zu verschiedenen Zeiten mit den Tatvorwürfen umgegangen sind. Die Kommission unter der Leitung der Hamburger Professorin für Soziale Arbeit, Christa Paul, hat den Angaben zufolge zudem untersucht, ob Folgetaten durch abweichendes Verhalten vermeidbar oder erschwert gewesen wären.
Eine Betroffene hatte den Fall im Oktober 2021 gemeinsam mit der Landeskirche, dem Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte und der Kirchengemeinde öffentlich gemacht, um die Aufarbeitung anzustoßen. Sie hatte berichtet, dass sie 1974 bei einer kirchlichen Freizeit schwere sexualisierte Gewalt durch einen Diakon in Ausbildung erfahren hatte. Damals war sie elf Jahre alt. Der Mann habe sie in den Jahren 1973 und 1974 teils schwer missbraucht.
Die Betroffene wirft der Kirche Versäumnisse und Vertuschung im Umgang mit sexualisierter Gewalt vor. Der mutmaßliche Täter war von der Kirchengemeinde 1977 entlassen worden, nachdem in einem anderen Fall Vorwürfe gegen ihn laut geworden waren. Angezeigt wurde er nie, so ergeben es Akten. Die Frau berichtete, sie habe sich bereits am Tag der Tat auf der Freizeit einer Betreuerin anvertraut, die ihr nicht geglaubt habe. Auch als sie sich 2010 an Kirchenvertreter gewandt habe, seien keine Konsequenzen erfolgt. Damals lebte der Täter noch.
Die Aufarbeitungskommission hatte ihre Arbeit den Angaben zufolge Anfang September 2022 begonnen. Das Landeskirchenamt habe sie auf Antrag des Kirchenkreises Melle-Georgsmarienhütte, zu dem die Kirchengemeinde Oesede gehört, mit der „individuellen und institutionellen“ Aufarbeitung beauftragt.