Diakoniesprecher Lenke fürchtet um gesellschaftlichen Zusammenhalt

Die Diakonie in Niedersachsen feiert das 175-jährige Bestehen. Vorstandssprecher Lenke sieht mit Blick auf die Zukunft viele Baustellen, wie den Fachkräftemangel und Etatkürzungen. Auch Sozialminister Philippi ruft zur Stärkung des Sozialen auf.
Bild: Diakoinisches Werk in Niedersachsen

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Hannover. 175 Jahre nach Gründung der Diakonie blickt Niedersachsens Sozialminister Andreas Philippi (SPD) trotz großer Herausforderungen zuversichtlich auf die Zukunft des sozialen Engagements in Deutschland. „Es gibt immer noch sehr viele und auch junge Menschen, die sich für andere einsetzen, und zwar unentgeltlich“, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gleichwohl gebe es einen Wandel, sagte er aus Anlass einer Jubiläums-Feier der Diakonie in Hannover. „Bestimmte Bindungen sind nicht mehr so eng wie früher, Gewerkschaften, Parteien und Vereine spüren das seit Jahren.“

Eine zunehmende Individualisierung, die Auflösung klassischer Milieus, ein vermehrter Austausch in digitalen Räumen und auch die lange Zeit der Corona-Pandemie hätten Spuren hinterlassen. „Dem stehen wir aber nicht tatenlos gegenüber“, betonte Philippi. „Wir arbeiten daran, funktionierende Strukturen zu stärken und neue Beteiligungsformate zu entwickeln, um neue Aktive zu gewinnen und ehemals Aktive wieder zu motivieren.“

Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, sagte dem epd, er fürchte zunehmend um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Die Mittelschicht wird immer kleiner, die Abstiegsängste nehmen zu und das Gefühl des Alleingelassenwerdens ist allgegenwärtig spürbar – in Gesprächen hier vor Ort, aber auch in den Kommentaren in den sozialen Netzwerken.“ Diese Entwicklung sei auch eine Gefahr für die Demokratie. Die Diakonie setze sich in dieser Situation für benachteiligte Menschen und positive soziale Veränderungen ein.

Aktuell gebe es viele Herausforderungen, die die Diakonie in „vertrauensvollem Austausch“ mit der Landespolitik angehen wolle. „Da ist natürlich der allgegenwärtige Fachkräftemangel, der große Auswirkungen auf unsere Daseinsvorsorge hat und zunehmend haben wird“, sagte Lenke. Wenn in der Pflege nicht mehr Personal geworben werde, würden Schließungen von Pflegeeinrichtungen keine Einzelfälle mehr sein. „Auch bei den Kitas spitzt sich die Situation zu. Viele unserer Kitas sind gezwungen, die Betreuungszeiten zu reduzieren, weil das Personal fehlt.“

Lenke und Philippi kritisierten in diesem Zusammenhang die geplanten Einsparungen im Sozialbereich im Bundesetat. Die damit verbundenen massiven Einschnitte bei einer Vielzahl von sozialen Angeboten bereite ihm Sorgen, sagte der Diakonievorstandssprecher. Auch Philippi sieht bestehende Strukturen gefährdet. „Das gilt für die Freiwilligendienste, aber auch für die politische Bildung, die Migrationsberatung“, zählte er auf. Diese Bereiche müssten gesichert und eigentlich sogar ausgebaut werden. „In Zeiten von Fachkräftemangel, Rechtspopulismus und schwindendem gesellschaftlichem Zusammenhalt ist eine aktive Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der Stabilitätsanker schlechthin.“

Die Diakonie in Niedersachsen hatte am Mittwoch zu einer „Reise durch die Diakonie“ im Expowal in Hannover eingeladen, um ihre Arbeit anlässlich des 175-jährigen Bestehens des evangelischen Hilfswerks zu präsentieren.

Regionalbischof Hans Christian Brandy wies in Stade auf die präventive Aufgabe sozialdiakonischer Arbeit hin. „Es genügt nicht, Menschen in Not zu unterstützen“, sagte der leitende evangelische Theologe am Mittwochabend in einem Gottesdienst zum Jubiläum in der Stader St.-Wilhadi-Kirche. Es müsse vor allem darum gehen, zu verhindern, dass Menschen in Not gerieten. Deshalb seien beispielsweise Bildung und Einrichtungen für junge Menschen so wichtig.

„Es muss doch immer vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe gehen, damit Menschen soweit eben möglich selbstbestimmt ihr Leben gestalten können“, sagte Brandy in einer Predigt. Um das zu erreichen, müssten sich Kirche und Diakonie auch politisch einsetzen. Die Nächstenliebe sei dem christlichen Glauben in die DNA eingeschrieben. Aber Nächstenliebe ohne sozialpolitisches Engagement „greift zu kurz“.

Brandy sprach unter anderem auch den wirtschaftlichen Druck an, unter dem mittlerweile viele diakonische Einrichtungen leiden. Das sei eine gewaltige Spannung: „Die Zahlen müssen stimmen, sonst ist das Tun der Nächstenliebe höchst gefährdet.“

Bis Sonntag erinnert die „Woche der Diakonie“ unter dem Motto „Aus Liebe“ an das Jubiläum. Es geht zurück auf die Gründung der „Inneren Mission“ beim Evangelischen Kirchentag 1848 in Wittenberg, maßgeblich beeinflusst von dem evangelischen Theologen und Sozialreformer Johann Hinrich Wichern (1808-1881).

Die Diakonie in Niedersachsen ist der größte Wohlfahrtsverband im Land. Ihr gehören nach eigenen Angaben 595 Mitglieder mit über 3.000 Einrichtungen und Diensten an. Dazu zählen unter anderem mehr als 160 stationäre Pflegeeinrichtungen, 16 Krankenhäuser, Angebote der Behinderten-, Wohnungslosen- oder Jugendhilfe sowie mehr als 470 Beratungsstellen. Es sind rund 89.000 Menschen beschäftigt, mindestens ebenso viele engagieren sich ehrenamtlich.

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epd Niedersachsen-Bremen