Mutter, Vater, Kind – Posaune

Mehr als Musik: Das Landesposaunenfest ist ein großes Familientreffen
Familie Schroetke aus Barienrode bei Hildesheim spielt Posaune und Trompete im Posaunenchor St. Michael Hildesheim (von links): Ronald, Anke, Hanna und Jonas Schroetke. Foto: epd-bild/Harald Koch
Bild: epd-bild/Harald Koch

Rund 1.000 Bläserinnen und Bläser wollen beim Landesposaunenfest im September Osnabrück zum Klingen bringen, darunter auch die Schrötkes aus Hildesheim. Generationenübergreifend ist das Musizieren in guter Gemeinschaft ein Lebensthema der Familie.

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Hildesheim/Osnabrück. „Formation: Halbkreis!“, ruft Ronald Schrötke in hörbar ironischem Generals-Tonfall über den Innenhof der Hildesheimer Michaeliskirche. Die rund 30 Mitglieder des Posaunenchors der Gemeinde schmunzeln kurz über den Befehl ihres Chorleiters, dann unterhalten sie sich munter weiter. Sie stellen gerade Stühle und Notenständer für die bevorstehende Probe auf. Als sie fertig sind, nimmt unter den vielen Mitgliedern auch Schrötkes Frau Anke auf einem der Stühle Platz und packt ihre Trompete aus. Hanna, die Tochter der beiden, plaudert mit ihren deutlich älteren Sitznachbarinnen. Hannas Bruder Jonas flachst mit anderen Jugendlichen aus dem Bläserensemble herum.

Heute proben die Musikerinnen und Musiker erst Stücke aus Film und Fernsehen. Später bereiten sie sich auf das Landesposaunenfest in Osnabrück vor. Rund 1.000 Musikerinnen und Musiker wollen die Stadt vom 8. bis 10. September mit Blechblasmusik zum Klingen bringen: im Dom und in zahlreichen Kirchen, bei Workshops, Gottesdiensten und Konzerten, in Wechselformationen und im großen Tutti. „Lauter Frieden“, so lautet das Motte der Großveranstaltung mit Blick auf den Westfälischen Frieden, dessen 375. Jahrestag die Stadt derzeit begeht.

Die Schrötkes haben schon oft mitgewirkt. Als Hanna und Jonas noch kleiner waren, hätten sie auf den Landesposaunenfesten einen Satz besonders häufig zu ihren Eltern gesagt, erinnert sich ihre Mutter Anke: „Oah, ihr kennt hier ja alle!“ Kein Wunder: Anke und Ronald Schrötke lernten sich im Posaunenchor kennen und lieben. Über ihre Blechblas-Leidenschaft haben sie ein großes Netz aus Freunden und Bekannten geknüpft. Das verwundert kaum angesichts einer großen Posaunenchor-Szene: Rund 10.000 Bläserinnen und Bläser in 550 Ensembles zählt allein die hannoversche Landeskirche, bundesweit sind es nach Angaben des Dachverbandes, des Evangelischen Posaunendienstes in Deutschland, etwa 100.000 Musikbegeisterte.

Hanna und Jonas waren von Anfang an mit dabei. Erst kamen sie im Kinderwagen mit zur Probe, dann traten sie mit sechs Jahren dem Chor bei – von den Eltern inspiriert, aber nie gezwungen. „Immer wenn ich Posaune spiele, habe ich das Gefühl, dass ich spielen darf, nicht spielen muss“, sagt Hanna.

Im klösterlichen Innenhof an der Michaeliskirche führt Ronald Schrötke den Posaunenchor gerade durch die ersten Phrasen der Titelmelodie von „Biene Maja“. Mal lässt er einzelne Instrumentengruppen spielen, dann wieder alle zusammen. Zwischendurch gibt er freundliche Tipps. Nach einigen Minuten setzt sich eine Passantin auf eine Bank unter einem Baum und wippt mit ihren Füßen zum klaren Rhythmus des Stücks.

Die Schrötkes musizieren gelegentlich auch zu viert, etwa auf Familienfeiern. Ein Konzert mit befreundeten Familien haben sie auf CD aufgenommen. Zu Hause proben sie meist einzeln. Und unterwegs? Eigentlich seien sie ja nicht so die Urlaubsmenschen, sagt Ronald Schrötke. Aber wenn sie mal wegfahren, dann nicht einfach mit ihren Instrumenten – eher für diese. Um mit anderen Ensembles zu spielen, waren sie schon in Belgien, Ungarn, Lettland und Südafrika.

Dass das Musizieren in Posaunenchören das Gemeinschaftsgefühl stärken und Brücken schlagen kann, weiß auch Landesposaunenpastorin Marianne Gorka. Sie verantwortet als Landespastorin die Posaunenchorarbeit in der hannoverschen Landeskirche. „Der Wert von Posaunenchören liegt vor allem in ihrem hohen ehrenamtlichen Engagement für Kirche und Gesellschaft“. Gerade junge Menschen lernten hier, sich immer wieder aufeinander einzustellen, sich einzubringen und mehr und mehr Verantwortung für die „eigene Stimme“ zu übernehmen, führt Gorka aus. Zudem brächten sich aktive Bläserinnen und Bläser „oft auch an anderer Stelle für Gemeinwohl, die Ortsgemeinschaft, den Sozialraum ein“, sagt die Pastorin.

Wie ihre Eltern lernten Hanna und Jonas zuerst Trompete. Als ihre Arme lang genug waren, griffen sie dann zur Posaune. Doch nicht nur diese Instrumente sind im Posaunenchor an St. Michaelis dabei. „Anders als der Name Posaunenchor vermuten lässt, ist die Bandbreite der Instrumente groß und umfasst unter anderem auch das Flügelhorn, die Tuba und ihren ausgefallenen Verwandten, das höher klingende Euphonium. Nicht nur die Instrumente sind in Posaunenchören vielfältig, sondern die Fähigkeit dieser Ensembles, Menschen über Generationen, Geschlechter und Milieus hinweg miteinander zu verbinden. So jedenfalls argumentierte die UNESCO-Kommission und nahm Posaunenchöre 2016 in das deutsche Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes auf.

Auch die Schrötkes spüren und schätzen den verbindenden Geist der Posaunenchorarbeit. Sie sagen, dass der Zusammenhalt über Leistungs- und Konkurrenzdenken stehe – und die Musik am Ende trotzdem gut klinge. „Ich denke, das hat auch damit zu tun, dass wir zum Lobe Gottes gemeinsam Musik machen“, sagt Anke Schrötke. Hanna sagt, sie kenne auch stärkeres Konkurrenzdenken beim Musizieren, zum Beispiel aus dem Schulorchester: „Im Posaunenchor zählt aber nicht das Können, sondern die Person dahinter.“

Konstantin Klenke (epd)